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Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
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vielen Gänge der Residenz des Obereunuchen zum Haupteingang, wo die Sänfte bereitstand.
    Richter Di lehnte sich in die weiche Polsterung zurück und ging das erstaunliche Gespräch in Gedanken noch einmal durch. Die Prinzessin hatte ihm nur die nackten Tatsachen gegeben, nichts weiter. Offenbar hatte dieser unglaubliche Diebstahl einen delikaten Hintergrund, über den sie im Detail nicht sprechen konnte oder wollte. Aber er hatte das deutliche Gefühl, daß das, was sie ungesagt gelassen hatte, viel wichtiger war als die Tatsachen des Falles. Sie war davon überzeugt, daß ein Außenseiter den Diebstahl begangen hatte, doch der Dieb hatte zweifellos einen Komplizen im Innern des Palastes gehabt. Denn er mußte im voraus gewußt haben, daß die Prinzessin zu jener bestimmten Zeit im Pavillon sein würde, und irgendwie darüber informiert worden sein, daß sie ihre Perlenkette abgenommen und auf das Ecktischchen gelegt hatte. Nur jemand, der sie von einem günstigen Platz in jenem Teil des Palastes heimlich beobachtete, konnte sie gesehen und den Dieb, der in einem kleinen Boot unterhalb des Pavillons wartete, benachrichtigt haben.
    Der Richter runzelte die Stirn. Auf den ersten Blick schien es ein höchst riskanter und unnötig komplizierter Plan zu sein. Selbst wenn die Prinzessin tatsächlich die Angewohnheit hatte, um Mitternacht am Fenster des Pavillons zu stehen, so würde sie doch gewiß die meiste Zeit in Begleitung einer oder mehrerer ihrer Hofdamen sein. Und die Organisatoren des Diebstahls konnten schwerlich in jeder Nacht, in der ein heller Mond schien, ein Boot unterhalb des Pavillons vertäut liegen haben! Die Palastwälle waren vermutlich Tag und Nacht mit Wachen besetzt, die schnell entdecken würden, wenn dort ein Boot läge. Je mehr er darüber nachdachte, um so weniger gefiel es ihm. Das alles schien doch sehr an den Haaren herbeigezogen zu sein. Der einzige klare Punkt war der Grund, warum die Prinzessin ihn ausgewählt hatte, ihr zu helfen: Sie verdächtigte eine bestimmte Person in ihrem engsten Gefolge, in den Diebstahl verwickelt zu sein, deshalb benötigte sie für die Ermittlungen jemanden, der keine Verbindungen zum Palast besaß und von dem dort niemand wußte, daß er mit der Suche nach der Halskette beschäftigt war. Daher ihr Insistieren auf äußerster Geheimhaltung. Es war ein Jammer, daß sie ihm nicht wenigstens eine ungefähre Vorstellung von der Anlage ihres Palastabschnitts gegeben haue. Seine erste Aufgabe war zweifelsohne, sich die nördliche Mauer vom Fluß aus näher anzusehen und die Lage des Pavillons und seiner Umgebung zu untersuchen.
    Er seufzte. Daß er den Palast unter Vortäuschung falscher Tatsachen betreten und den Obereunuchen angelogen hatte, darüber brauchte er sich nun keine Sorgen mehr zu machen. Das im Futter seines Rockaufschlags verborgene Dokument würde eindeutig beweisen, daß er auf ausdrücklichen Befehl der Dritten Prinzessin handelte. Auch über Hauptmann Sjus Motive brauchte er sich nicht mehr zu beunruhigen. Der durchtriebene Halunke mußte von dem Diebstahl gewußt haben, wahrscheinlich durch seinen Vorgesetzten, Oberst Kang, der als Befehlshaber der Kaiserlichen Garde sicher an den Ermittlungen beteiligt gewesen war. Und Sju hatte ihn, den Richter, als geeignete Person empfohlen, ganz allein eine geheime Untersuchung durchzuführen. Er lächelte gequält. Der Gauner hatte ihn nach Strich und Faden hinters Licht geführt!
    Die Sänfte wurde abgesetzt und der Türvorhang zur Seite gezogen. Sie befanden sich in dem Hof, in dem er und Hortensies Tochter umgestiegen waren. Ein Gardeleutnam sagte barsch:
    »Folgen Sie mir. Ich habe Befehl, Sie zu Seiner Exzellenz dem Oberaufseher zu bringen.«
    Richter Di biß sich auf die Lippen. Wenn man ihm jetzt auf die Schliche käme, würde er die Prinzessin verraten, noch bevor er mit der ihm anvertrauten Aufgabe begonnen hätte. Er wurde in eine vornehme Halle geführt. Hinter dem ornamentverzierten, mit Papieren überhäuften Schreibtisch in der Mitte saß ein dünner Mann mit strengem Gesicht, dessen grauer Schnurrbart und strähniger Kinnbart sein asketisches Aussehen noch betonten. Seine braune Flügelkappe war mit goldenen Rändern versehen, und seine breiten Schultern steckten in einem Gewand aus steifem braunem Brokat. Er schien in das Dokument vor sich vertieft zu sein. Ein stattlicher Höfling, angetan mit dem blauen Gewand und der Kappe eines Beraters, stand hinter seinem Stuhl und las über seine

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