Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Halskette und Kalebasse

Halskette und Kalebasse

Titel: Halskette und Kalebasse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert van Gulik
Vom Netzwerk:
Schulter mit. Vor dem Schreibtisch waren etwa ein Dutzend Höflinge versammelt. Manche trugen Dokumentenkästen, andere sperrige Akten. Als der Richter, ehrerbietig grüßend, den Kopf neigte und die Hände hob, spürte er, wie sich ihre Augen in seinen Rücken bohrten.
    »Doktor Liang ist da, Exzellenz«, meldete der Leutnant.
    Der Oberaufseher blickte hoch. Als er sich in seinem Stuhl zurücklehnte, warf der Richter einen schnellen Blick auf das Dokument, das der Oberaufseher und der Berater so eifrig studiert hatten. Sein Mut sank. Es war sein eigenes Ausweispapier. Der Oberaufseher fixierte den Richter mit seinen kleinen stechenden Augen und fragte mit scharfer, metallischer Stimme:
    »Wie geht es der Dame Hortensie?«
    »Ich habe ihr eine Arznei verschrieben, Exzellenz. Ich bin zuversichtlich, daß die ehrwürdige Dame sich rasch erholen wird.«
    »Wo fand die Konsultation statt?«
    »Vermutlich im Schlafgemach der ehrwürdigen Dame, Exzellenz. Ihre Tochter und auch zwei Hofdamen waren anwesend.« ;
    »Aha. Ich hoffe, daß die Arznei, die Sie verschrieben haben, ; sich als wirksam erweisen wird. In erster Linie natürlich für die Patientin. Aber auch für Sie. Da Sie die Behandlung übernommen haben, werden Sie von nun an als verantwortlich für die Gesundheit der Dame Hortensie betrachtet, Doktor.« Er schob Richter Di das Ausweispapier hinüber. »Sie verlassen die Stadt nicht, bevor Sie nicht meine Genehmigung dazu haben. Sie können gehen.«
    Der Leutnant brachte Richter Di hinaus. Als sie den Hof halb überquert hatten, blieb der Leutnant plötzlich stehen und salutierte zackig. Ein hochgewachsener Offizier in der goldenen Rüstung und mit dem Federhelm eines Oberst der Gardisten kam dahermarschiert und ließ seine eisenbeschlagenen Stiefel auf den Marmorfliesen klirren. Im Vorbeigehen sah der Richter flüchtig ein blasses, hübsches Gesicht mit einem pechschwarzen Schnurrbart und einem gestutzten Kinnbart.
    » »War das Oberst Kang?« fragte er den Leutnant.
    »Ja, Herr.« Er führte den Richter in den ersten Hof, wo dieselbe schwarze Sänfte, die ihn vom >Eisvogel< abgeholt hatte, bereitstand. Er nahm darin Platz und wurde durch die hohen Tore hinausgetragen.
    Sobald sie die breite Marmorbrücke über den Graben hinter sich gelassen hatten, zog Richter Di den Fenstervorhang zur Seite, um sein erhitztes Gesicht von der frischen Abendluft kühlen zu lassen. Es war eine ungeheure Erleichterung gewesen, daß sein gefälschtes Papier der Prüfung standgehalten hatte. Aber wie sollte er das mißtrauische Verhalten zuerst des Obereunuchen und dann des Oberaufsehers interpretieren? Verhielten sich diese hohen Beamten fremden Palastbesuchern gegenüber immer so feindselig? Oder waren sie vielleicht in den Diebstahl der Halskette verwickelt? Nein, er ließ seine Phantasie mit sich durchgehen! Natürlich war es ausgeschlossen, daß hohe Beamte des Kaiserlichen Hofes sich dazu hergeben würden, einem Diebstahl Vorschub zu leisten! Geld bedeutete ihnen nichts, warum sollten sie riskieren... Plötzlich straffte der Richter sich. Konnte es sein, daß die Perlenkette vielleicht in einer komplizierten Hofintrige, in einem verborgenen Machtkampf zwischen gegnerischen Hofcliquen das Pfand war? Das würde erklären, warum die Prinzessin den Zweck seines Besuchs sogar vor ihren engsten Dienern, dem Obereunuchen und dem Oberaufseher, geheimgehalten hatte. Andererseits, wenn einer von ihnen oder beide ein besonderes Interesse an der Halskette hatten und argwöhnten, daß er bei der Prinzessin gewesen und über den Diebstahl informiert worden war, warum hatten sie ihn dann gehen lassen, ohne ihn einem wirklich gründlichen Verhör zu unterziehen? Auf diese Frage gab es eine naheliegende Antwort. Sie hatten ihn nur gehen lassen, weil sie nicht wagten, sich offen gegen die Prinzessin zu stellen. Sie planten, ihn außerhalb des Palastes beseitigen zu lassen, und zwar so, daß man seinen Tod leicht als Unfall erklären konnte. Er tastete unter der Bank nach seinem Schwert. Es war verschwunden.
    In dem Augenblick, da er diese unangenehme Entdeckung machte, wurde die Sänfte zu Boden gesetzt. Ein großer Mann in Schwarz zog den Fenstervorhang zur Seite.
    »Bitte steigen Sie hier aus, Herr. Folgen Sie einfach dieser Straße, und Sie werden in ein paar Minuten in der Stadt sein.«
    Es war nicht derselbe Anführer, der ihn auf dem Hinweg abgeholt hatte. Richter Di trat heraus und sah sich rasch um. Sie schienen mitten im Kiefernwald zu

Weitere Kostenlose Bücher