Halskette und Kalebasse
alten Mannes war immer im richtigen Augenblick an der richtigen Stelle. Plötzlich senkte er sein Schwert und ergriff das Heft mit beiden Händen. Als sein Angreifer sich auf ihn stürzte, brachte er das Schwert wieder nach oben, den Griff gegen die Bank zwischen seinen Knien haltend. Der Mann konnte nicht mehr bremsen. Als er vorwärts fiel, grub sich Meister Kaiebasses Schwert tief in seinen Magen.
Der Richter drehte sich um. Der bärtige Anführer ging auf ihn los, einen wilden Blick in seinem übriggebliebenen Auge. Er hatte einen Speer ergriffen und setzte damit zu einem mörderischen Stoß direkt auf Richter Dis Kopf an. Der Richter duckte sich und trieb sein Schwert nach oben in des anderen Brust. Als der bärtige Anführer zu Boden sank, beugte sich der Richter über ihn und bellte:
»Wer hat euch geschickt?« Der riesige Kerl sah mit seinem einen rollenden Auge zum Richter hoch. Seine dicken Lippen zuckten.
»Hau...«, begann er. Ein Blutstrom stürzte aus seinem Mund, sein mächtiger Körper wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, dann lag er still. Richter Di erhob sich. Er fuhr sich über sein schweißbedecktes Gesicht und sagte keuchend zu Meister Kalebasse gewandt:
»Danke vielmals! Ihr glänzender erster Schachzug hat den Anführer außer Gefecht gesetzt und den Tag gerettet!« Meister Kalebasse schleuderte das Schwert in die Ecke. »Ich hasse Waffen.«
»Aber sie gehen unglaublich geschickt damit um! Sie haben die Stöße Ihres Gegners so exakt erwidert, daß es schien, als wären die Spitzen der beiden Schwerter durch eine unsichtbare Kette miteinander verbunden!«
»Ich sagte Ihnen doch, ich bin nur eine leere Hülle«, gab der alte Mann unwirsch zurück. »Da ich leer bin, strömt die Fülle meines Gegners automatisch in mich über. Ich werde er, so daß ich genau das tue, was er tut. Mit mir zu fechten ist, als ob Sie mit Ihrem eigenen Spiegelbild fechten. Und genau so zwecklos. Kommen Sie her; Ihr Arm blutet. Ein kranker Doktor ist ein trauriger Anblick.«
Der alte Mann riß ein Stück Tuch aus dem Gewand des toten Riesen. Nachdem er Richter Dis Unterarm fachmännisch bandagiert hatte, sagte er: »Wäre besser, Sie sähen mal draußen nach, Doktor. Damit wir wissen, wo wir sind und ob unsere jüngst verstorbenen Freunde jemanden erwarteten!«
Der Richter ging hinaus, das Schwert bereit.
Der Esel, bleich im fahlen Mondschein, graste friedlich in der Lichtung. Niemand war zu sehen. Er untersuchte das gegenüberliegende Gebäude und stellte fest, daß sich dahinter weitere Lagerschuppen verbargen. Nachdem er um die Ecke des letzten Schuppens in der Reihe gebogen war, sah er den Fluß vor sich. Sie befanden sich am äußersten östlichen Ende des Kais. Er hängte das Schwert in die Schlinge und ging zurück.
Als er gerade wieder das Lagerhaus betreten wollte, fiel sein Blick auf die Inschrift über der Tür: >Eigentum der Seidenfirma Lang<.
Nachdenklich strich er sich den langen Bart glatt. Seine Badezimmerbekanntschaft besaß einen Seidenladen in der Stadt am Fluß. Da Lang kein häufiger Name war, mußte das Lagerhaus jenem neugierigen Herrn gehören. Meister Kalebasse kam auf seinen Krücken nach draußen gehumpelt.
»Wir befinden uns am Ende des Kais«, teilte Richter Di ihm mit. »Die ganze Gegend ist verlassen.«
»Ich werde mich nach Hause begeben, Doktor. Ich bin müde.«
»Gehen Sie doch bitte beim Hufschmied an der Ecke vom Fischmarkt vorbei, Meister! Sagen Sie ihm, er soll einen Mann mit meinem Pferd herschicken. Ich werde mir noch einmal die toten Männer ansehen und dann im Hauptquartier den Überfall melden.«
»Gut. Wenn dort jemand meine Zeugenaussage wünscht, so wissen Sie, wo ich zu finden bin.« Der alte Mann stieg auf seinen Esel und ritt davon.
Richter Di ging hinein. Der Geruch des frischen Blutes und der Anblick der vier Toten verursachten ihm Übelkeit. Doch bevor er die Männer durchsuchte, sah er sich die Ballen in der Ecke noch einmal genauer an. Einen davon schlitzte er mit der Schwertspitze auf und stellte fest, daß er tatsächlich Rohseide enthielt. Dann fielen ihm dunkle Flecken auf der Bank, auf der Meister Kalebasse und er gesessen hatten, ins Auge. Die Flecken sahen ungewöhnlich aus, wie vor nicht allzulanger Zeit vergossenes Blut. Unter der Bank fand er ein paar dünne Stricke, ebenfalls mit getrocknetem Blut verklebt. Hierauf wandte er sich den toten Männern zu und durchsuchte ihre Kleider. Keiner von ihnen hatte etwas bei sich, außer ein
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