Haltlos
Wozu sollte das gut sein. Sie wollte mit dem Orden jagen und nicht Spitznamen und Freundschaftsbänder austauschen. Natürlich musste die Tatsache, dass sie diesen Namen nicht verraten hat nicht bedeuten, dass der Orden diese Kleinigkeit nicht selbst recherchiert haben könnte. Im Nachspionieren waren sie ganz große Klasse, wie Tessa feststellen durfte. Amber griff die sich im Fall befindende Karte und fing sie knapp über den Boden auf. „Und, gefällt es dir? Ist es nicht atemberaubend schön?“ Sie hatte sich wieder aufgerichtet und wiegte sich, das Kleid an ihren Körper gehalten hin und her und der Stoff folgte diesen sanften Wellenbewegungen. „Lege es bitte zurück in die Schachtel. Ich werde es nicht annehmen. Keine Ahnung, wer sich da ein Spielchen mit mir erlauben will, aber ich spiele unter keinen Umständen mit.“ „Aber Tessa, hast du diesen Stoff gesehen? Den Schnitt und das Strahlen dieser Farben? So etwas gehört nicht in eine Schachtel. Es gehört an deinen Körper und will von dir getragen werden. Hör doch mal.“ Amber hob den Zeigefinger an die Lippen, um Tessa zu bedeuten, dass sie leise sein soll und lauschen musste. „Ich höre nichts, nicht das Geringste.“ „Doch, doch. Du musst nur ganz genau hinhören, dann kannst du hören wie das Kleid ruft: Trage mich Tessa, führ mich aus!“ „Amber, jetzt spinnst du aber komplett. Es ist ein Kleid. Ein Stück gefärbter Stoff.“ Amber riss vor Empörung den Mund und die Augen weit auf. „Ein Stück gefärbter Stoff. Jetzt hast du es beleidigt. Wenn es an dir dank deiner unbedachten Äußerung nun nicht mehr gut sitzen mag, behalte ich es.“ „Von mir aus, nimm es und gehe für mich auch gleich zu dieser ominösen Verabredung heute Abend. Ich bin nämlich raus aus dieser Geschichte.“ „Tess, Überraschung!“ Amber war traurig. Sie wollte ihrer Freundin lediglich eine Freude bereiten. Sie hätte nie im Leben ahnen können, dass Tessa so durchdrehen würde. Vielleicht wäre es das Beste, sie setzte sich mit Josh in Verbindung. Er sollte herkommen und Tessa dazu überreden, wieder nach Hause zu fahren. Amber hatte gehofft, die Wochen im Kloster würden Tessa helfen mit ihrem Schmerz, der Trauer und der angestauten Wut zurechtzukommen, doch dem war nicht so. Sie hatte das Gefühl, dass es Tessa von Tag zu Tag schlechter ging. „Es ist von Dir?“ fragte Tessa kleinlaut. „Klar, ich wollte dich überraschen und für den heutigen Abend eine ganz besondere Party besuchen. Ich hatte ja keine Ahnung, dass dich die Tatsache ein Kleid geschenkt zu bekommen so stören würde. Du tust gerade so, als seien wir auf der Flucht und jeden Moment erwartest du die Polizei vor der Tür.“ „Amber, es tut mir Leid. Ganz ehrlich. Ich habe nur, ach ich weiß auch nicht. Die Sache mit dem Fahrer, der mich abholt und kein Absender. Ich glaube, es war einfach ein bisschen viel in den letzten Tagen. Freunde?“ „Ja, Freunde. Und nur zu deiner Information: der Fahrer wäre Jens gewesen und dein geheimes Date war ich.“ „Amber, ich gehe mit dir wohin du willst. Von mir aus fliegen wir gleich zum Mond, aber bitte versprich mir eins“, Amber sah sie mit großen Augen an und nickte vergnügt, „nie wieder wirst du mir so einen Schrecken einjagen, hast du mich verstanden.“ „Jawohl Ma’am!“ Amber salutierte freudig, ohne den wahren Grund für Tessas Verstörung auch nur erahnen zu können. Es interessierte sie nicht weiter, da Tessa eingewilligt hatte heute mit ihr zusammen auf diese super tolle Party zu gehen. Was zuvor noch so aussah, als würde es schief gehen, schlug nun die gewünschte Richtung ein. Es würde ein klasse Abend werden. Aber Josh musste sie dennoch anrufen und ihm erzählen, wie sie Tessas Zustand einschätzte.
Connor war sauer, sauer auf sich selbst und auf den ganzen verdammten Orden. Auf Francis Anweisungen hin hatte er Tessa den Sender untergeschoben und sie observiert. War es einzig und allein dem Gehorsam eines Soldaten zuzuschreiben? Wollte er Tessa nicht genauso im Auge behalten und beschützen? Und jetzt, was hatte ihm das alles eingebracht? Sie reagierte nicht mehr auf seine Anrufe. Tessa gab ihm keine Chance, dass er sich bei ihr für sein unangebrachtes Verhalten entschuldigen konnte. Nachdem er Francis seine Meinung gesagt hatte, wurde er von dem „Fall“ Tessa abgezogen. Er konnte sich dennoch auf dem Laufenden halten, weil Cole ihm haarklein jede Einzelheit berichtete, die Tessa in ihrer „Freizeit“ so trieb.
Weitere Kostenlose Bücher