Haltlos
reagierte sie nicht – armseliger Versuch. Sie ging weder zum Unterricht, noch verließ sie aus einem anderen Grund das Haus. Vier Wochen nach seinem ersten Besuch erschien Lukas wieder bei ihr, nachdem Amber und Josh bereits alles versucht hatten Tessa wieder in ihr „normales“ Leben zurückzuholen. „Darf ich reinkommen?“ Keine Antwort. „Ach T., ich werte das als Ja. Tess, bitte rede mit mir“, er setzte sich zu ihr aufs Bett. Keine Reaktion. „O.k. ich weiß, ich bin die letzten Jahre über ´nen Arsch gewesen, doch glaube mir, wenn ich es könnte, würde ich es ungeschehen machen. Und damit meine ich echt alles. Dad hätte mich ganz schön rund gemacht, wenn er, ach du weißt schon.“ Tessa sah ihn immer noch nicht an. Lukas verlor seine Beherrschung, nahm ihren Kopf unsanft in seine rauen Hände und hielt sie so, dass sie ihm in die Augen schauen musste. Dann begann er mit einer scharfen Stimme zu sprechen. „Verdammt T., sie werden dich in eine Klapse stecken, kapierst du das? Und warum, wegen irgend so ´nem Wichser, der eine Wette verloren hat? Ist es das, was du willst? Diesen Triumph lässt du ihm auch noch? Ja, es war scheiße, was er getan hat, aber lass nicht zu, dass er dich zerstört. Steh‘ auf und kämpfe endlich. Und glaube mir, es wird ein Kampf für dich werden. Ich will nicht, dass du weggeschlossen wirst. Verdammt Tessa! Ich liebe dich, du bist meine Schwester und es wäre meine Aufgabe gewesen, auf dich aufzupassen, statt mich zu verhalten wie der letzte Idiot. Ich habe versagt. Und dem Arsch auch noch in die Hände gespielt. Es tut mir leid, o.k.? Ich werde dich jetzt in Ruhe lassen. Es liegt in deiner Hand Schwesterchen. Kämpfen oder Untergehen?“ Als Lukas aufstand legte er einen Stapel Papier auf ihren Nachttisch. „Hier, wenn du dich endlich dafür entscheidest zu kämpfen, hilft dir das vielleicht. Zumindest würde es dich ein wenig aufheitern, denke ich.“ Er drückte ihr zum Abschied noch einen flüchtigen Kuss auf die Stirn und verließ ihr Zimmer. Lange nachdem Lukas gegangen war, lag Tessa immer noch reglos im Bett. Natürlich wusste sie, wie besorgt alle um sie waren. Dennoch konnte sie nicht anders. Sie wusste nicht, wie sie mit all dem Schmerz fertig werden sollte. Sie hatte Angst, dass sie daran zerbrechen würde, dass sie es nicht überleben würde, wenn sie zuließ, dass sie sich damit auseinanderzusetzen begann. Wenn sie erlauben würde in ihre innere Zerrissenheit den Anderen zu schauen.
Schlimmer noch, sie hatte Angst festzustellen, dass sie allein war. All die Tage, die vergangen waren. Sie aß nur das Nötigste, stand nur für die dringlichsten Bedürfnisse auf. Sie versuchte krampfhaft einzuschlafen und nie wieder aufzuwachen oder wach zu werden, um festzustellen, dass alles ein grausamer Albtraum war. Sie hatte Mike vertraut, hatte mit ihm über den Unfall geredet und ihm all ihre Ängste und Schwächen offenbart. Die er letztlich wunderbar ausnutzte. Sie fluchte stumm „Gott, bin ich ein Idiot. So blöd zu glauben, er hätte ein echtes Interesse an mir, so dumm!“ Sie erkannte nicht einmal, dass sie bereits wieder in ihre Träume entglitten war. „Ich würde es weder Gott in die Schuhe schieben, noch würde ich es idiotisch nennen. Was hältst du von naiv?“ Sie zuckte unwillkürlich beim Klang seiner Stimme zusammen. Sie wusste sofort, wer er war. Der Unbekannte aus ihrem Traum. „Wo bist Du?“ Tessa sah sich hilflos um. Sie erkannte den Wald, der zu ihrem Anwesen gehörte, sah das Bootshaus. „Komm raus und zeige Dich!“ Nun stand sie im Appartement, an der Glasfront und blickte über den See. Es war ein unheimlich beruhigender Anblick. Sternenklar, wolkenlos und durch den Vollmond hell. „Bitte, ich brauche Dich, wo bist Du!“ Verzweifelt ließ sie sich an der Glasfront auf den Boden sinken, den Kopf an das kühlende Glas gelegt, die Augen geschlossen. Wieso sie ihn brauchte, wusste sie nicht, nur, dass sie nicht mehr allein an diesem Ort seien wollte. Der Ort, der ihr die Luft zum Atmen nahm. Da sie es nicht schaffte mit einer realen Person zu reden, wollte sie umso mehr seine Nähe. Ein Luftzug. Ihr lief ein kalter Schauer über ihre Haut, sämtliche feinen Härchen auf ihren Armen richteten sich auf und ihr Körper fing an zu prickeln. Er war hier. Sie richtete sich auf, den Blick immer noch gesenkt und drehte sich langsam um. Ihr Atem stockte. Der Mann aus ihrem Traum stand diesmal klar und deutlich sichtbar nur wenige Zentimeter
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