Halva, meine Sueße
gekränkt, und Halva rollte die
Augen. Männliche Eitelkeit war doch unfassbar!
»Mehr als nur Besuch, Mudi. Keine Angst, wir feiern dich schon, wie es sich gehört. Allerdings ist heute im doppelten
Sinne ein Festtag. Nicht nur bist du jetzt Student, sondern
du ahnst nicht, wer gekommen ist. Baba und Mama wollten
uns nichts davon sagen, ehe nicht ganz sicher war, dass sie
ihre Ausreisegenehmigung und ihr Visum erhält.«
»Sie? Ihre
Ausreisegenehmigung und
ihr
Visum?«, wiederholte
Mudi. Dann hellte sich sein Gesicht auf, er blieb stehen
und fragte heiser vor Aufregung: »Mamii etwa?«
Halva schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Ich glaube
nicht, dass wir Mamii je wiedersehen werden. Nein, Miryam
ist gekommen. Tante Miryam! Und das für immer und
ewig.«
»Das glaube ich jetzt nicht!«
»Doch! Lass uns reingehen«, sagte Halva und zog Mudi
am Arm mit sich.
Hinter der Tür wurden die Stimmen nun lauter. Mudi
schaute immer noch verdattert drein. »Aber … wieso ist sie
denn hier?«
»Nach Großvaters Tod vor drei Jahren hat ihre Mutter
jetzt wieder geheiratet und da war Miryam ihr wohl im Weg.
Baba
musste
sich einfach bereit erklären, sie aufzunehmen,
denn sonst wusste niemand, wohin mit ihr.«
»Das verstehe ich nicht«, sagte Mudi leise.
»Ich auch nicht. Mama hat gesagt, sie mussten Miryam
holen, um sie vor sich selbst zu retten. Aber pst! Das bleibt
unter uns. Bist du bereit, Herr stud. jur.?«
Mudi nickte. »Ja, das bin ich.«
»Das werden wir ja sehen! Keine leeren Versprechungen,
bitte!« Halva lachte, als sie die Tür aufstieß und Pamir
nach hinten schob. »Hinten anstellen, Kater!« Dann gab sie Mudi einen leichten Schubs und duckte sich hinter seinen
Rücken. Sie hatte alles geplant: Ein Blütenregen ging auf
Mudi nieder, alle lachten und klatschten in die Hände. Das
duftende Konfetti lag überall verstreut auf dem Boden, der
mit Teppichen, die an den Iran erinnern sollten, bedeckt
war. Halva sah rasch zu ihrer Mutter. Raya hatte sich nach
der Heimkehr vom Café zur Feier des Tages umgezogen. Sie
trug ein bodenlanges Kleid aus blauer Seide, das ihre noch
immer schmale Taille betonte, und drehte wirbelnd ihre
Handgelenke, dass die vielen silbernen Armreifen daran nur
so klirrten. Trotz der harten Arbeit in den vergangenen Jahren
hatte Raya eines nie verloren, dachte Halva stolz: ihre
Haltung und ihr Bewusstsein dafür, wer sie war und wo sie
herkam – wohin sie auch immer ging. Unwillkürlich drückte
Halva selber ihren Rücken durch. Sie gehörte einer der
vierzig Familien an – zumindest von Mamiis Seite aus. Die
vierzig Familien, die den Iran seit Hunderten, wenn nicht
Tausenden von Jahren beherrscht hatten und deren Sitten
und Traditionen nicht starben, solange ihre Mitglieder lebten,
selbst wenn dies so fern ihrer Heimat war.
Mudi fing gerade eine Handvoll der getrockneten Blütenblätter
auf und zog seine Mutter an sich, um sie zu umarmen
und dann auf beide Wangen zu küssen. Halva sah in
ihren Augen Tränen schimmern. Sie sog den betörenden und
beruhigenden Duft der Blütenblätter, die sie selbst nur für
diesen Tag über den Frühling und Sommer hinweg gesammelt
und getrocknet hatte, tief in sich ein. Es waren sieben
verschiedene Blumen: Rosen, Tulpen, Nelken, Margeriten,
Rittersporn, Vergissmeinnicht und Maiglöckchen. Die Zahl
Sieben brachte Glück.
Halva bückte sich, sammelte einige Blütenblätter auf und
legte sie sich in die hohle Hand. Sie presste ihre Finger zusammen,
um den Geruch noch intensiver werden zu lassen.
Dann ließ sie das Konfetti zu Boden fallen, ein bunter Regen,
der sich mit den Mustern der Teppiche mischte.
Als Mudi geboren wurde, bekam Raya von der Familie
ihres Mannes eine wunderschöne
Seismooney,
eine Aussteuer,
bestehend aus sieben von Hand genähten kleinen Anzügen,
sieben gestrickten Stiefelchen und sieben kleinen Mützen.
In jedes Kleidungsstück war ein Vers aus dem Koran gestickt,
Van Yakad,
der das Kind vor dem bösen Blick behüten sollte.
Zu Halvas Geburt hatte Mamii dann die
Seismooney
genäht.
Nach Mudis Geburt hatte Raya von Cyrus' Familie sogar das
Doppelte zu essen bekommen. Mamii hatte immer zornig
den Kopf geschüttelt, wenn sie davon erzählte: Nur ungebildete
Menschen machten zwischen Mann und Frau noch
einen Unterschied. Eben Bauern und Soldaten, wie die Verwandten
ihres Schwiegersohns es waren. Ein Bauer und ein
Soldat, dachte Halva und warf ihrem Vater einen liebevollen
Blick zu. Das stimmte. Aber sie mochte ihn gerade so,
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