Hamburger, Hollywood & Highways
wollte.
Davor brauchte ich eine Stärkung, und die besorgte ich mir gleich um die Ecke in einer der zahlreichen Volksküchen von China Town. Selbst im Reich der Mitte gehts nicht überall so authentisch zu wie in dieser größten chinesischen Stadt außerhalb Asiens. Was zeigt, wie heimwehkranke Auswanderer versuchen, etwas von der alten Welt in die Neue rüberzuretten. Ich aß ein Gericht, dass Hund, Katze oder Ratte sein konnte, und ließ mich dann durchs Menschengewimmel zwischen Broadway, Bush, Kearny und Stockton Street treiben. Dort hatte ich eine Verabredung. Auch wenn mir Ch'an Wu nur zehn Minuten eingeräumt hatte, wollte ich diese auf keinen Fall verpassen. Der Freund eines Freundes eines Freundes hatte vermittelt und gesagt, Ch'ans Friseurladen vor dem Stockton Street Tunnel könne ich nicht verpassen. Der Deal war, dass ich mir gegen einen Haarschnitt seine Wohnung ansehen durfte.
Als ich Ch'ans Laden betrat, erkannte ich ihn gleich, denn außer ihm war niemand da. Ich sagte, wer ich war, und musste nicht mal ausreden. Er winkte mich mit sich. Wir stiegen eine enge Treppe hoch, und betraten die Wohnung. Es gab drei Zimmer, in denen es dunkel und muffig war, aber was mich interessierte, konnte ich auch so erkennen: Stockbetten an jeder Wand. Offiziell leben 70000 Chinesen in China Town, doch Insider schätzen die Zahl auf dreimal mehr. Also rund 200000 Menschen, die auf engstem Raum in Wohnungen wie dieser schlafen, und zwar in Schichten. Auch jetzt waren alle Betten gefüllt, was weniger zu sehen als zu hören war. Ch'an führte mich wieder hinab, und gebot mir mit einer herrischen Handbewegung, Platz zu nehmen. Das tat ich, er nahm einen elektrischen Haarschneider, und keine zwei Minuten später lag der Stolz meiner späten Jugend lockig auf dem Boden.
„Zehn Dollar“, sagte Ch'an, und das war der erste und letzte Satz, den er an mich richtete.
Ich gab ihm das Geld und ging hinaus auf die Straße. Irgendwie fühlte ich mich nackt. An einem Stand mit Caps kaufte mir ein schickes Exemplar mit einer Menge Schriftzeichen drauf. Ich fragte die Verkäuferin, was sie bedeuteten.
„Ein einfacher Zweig ist dem Vogel lieber als ein goldener Käfig“, sagte sie.
Auf meinem Weg Richtung South Market kam ich an einer Manufaktur für Glückskekse vorbei. Manufaktur klingt ein wenig abgehoben, denn drinnen ratterten uralte Maschinen, und nirgendwo kauerte ein Dichter, um dem Gebäck weise Worte einzuhauchen. Eine Frau stürmte aus den Tiefen des Raumes auf mich zu und fragte mit schriller Stimme nach dem Begehr. Sie sei die Managerin, ob ich eine Bestellung aufgeben wollte? Wollte ich nicht, sondern nur gucken. Gucken ist nicht, gab sie mir zu verstehen, alle seien furchtbar beschäftigt. Dann drückte sie mir einen Keks in die Hand. Draußen brach ich ihn auf und las: „A thrilling time is in your immediate future.“ Da hatte ich es – die Mütze auf meinem Kopf beschwor den freien Vogel. Der Fortune Cookie in meiner Hand wies auf spannende Zeiten hin. Konnte es Besseres geben? Beschwingt marschierte ich Richtung Fisherman's Wharf, dem Kai der Fischer. Eine Mischung aus Montmartre, dem alten Hafen von Marseille und Neapels Santa Lucia, tönte das schlaue Buch in meiner Tasche. Da wurde ein Menge Old Europe beschworen, und nichts davon ist wahr. Schließlich sind wir in Amerika, und deshalb auch der Fisherman's Wharf ein Abklatsch von Disneyland. Das musste ich heute nicht haben, und machte einen Bogen um das Viertel.
Städte am Meer lassen sich auf Schusters Rappen am besten erkunden, und San Francisco macht keine Ausnahme. Ich kam an Fort Mason vorbei und ging Richtung Presidio, dem ehemaligen Hauptquartier der Sechsten US-Armee. Schöner kann ein Hauptquartier nicht liegen, kein Wunder, machte das Soldatenspielen Spaß. Zwar soll es im Presidio mitunter rauh zugegangen sein, das behauptet zumindest der gleichnamige Film mit Sean Connery und Meg Ryan. Ob das allerdings der Grund war, weshalb man nach 219 Jahren Militärgeschichte im Jahr 1995 die Pforten schloss, konnte mir keiner sagen.
Vom Presidio stiefelte ich Meile für Meile bergauf und bergab, immer an der Küste entlang. Hier zu wohnen, zumindest für eine Zeitlang, würde auch den Nomaden locken. Schiffe glitten unter der Golden Gate Brücke hindurch, mit etwas Glück konnte man vom Gartenstuhl aus Wale und Delfine beobachten. Manchmal wurde ich zu Umwegen gezwungen, denn wie überall auf der Welt hatte auch hier die Brut der
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