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Hana

Hana

Titel: Hana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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Metallfinger und kratzen in meiner Kehle. Unbewusst habe ich den Daumen in den Mund gesteckt. Ich spüre kleine Schmerzattacken, als ich anfange, an der Nagelhaut zu reißen, und das tröstet mich auf altvertraute Weise.
    »Hana«, sagt Lena sanft. »Alles in Ordnung?«
    Diese einzelne dumme Frage ist genug. Alle Metallfinger lösen sich auf einmal und die Tränen, die sie zurückgehalten haben, steigen in mir auf. Plötzlich schluchze ich los und erzähle ihr alles von der Razzia und den Hunden und dem Knacken der Schädel unter den Schlagstöcken der Aufseher. Beim Gedanken daran fürchte ich erneut, mich gleich übergeben zu müssen. Irgendwann legt Lena den Arm um mich und beginnt in meine Haare zu murmeln. Ich weiß gar nicht, was sie sagt, und es ist mir egal. Allein weil sie da ist – fassbar, wirklich, neben mir –, fühle ich mich besser als seit Wochen. Langsam schaffe ich es, die Tränen einzudämmen, die Hickser und Schluchzer runterzuschlucken, die mich immer noch durchzucken. Ich versuche ihr zu sagen, dass ich sie vermisst habe und dass ich blöd war und mich geirrt habe, aber meine Stimme ist zu leise und klingt belegt.
    Dann klopft es an der Tür, viermal, ganz deutlich. Ich löse mich schnell von Lena.
    »Was ist das?«, frage ich und fahre mir mit dem Unterarm über die Augen im Versuch, mich wieder zu fassen. Lena versucht es abzutun, als hätte sie es nicht gehört. Ihr Gesicht ist kalkweiß geworden, sie reißt entsetzt die Augen auf. Als das Klopfen erneut ertönt, rührt sie sich nicht vom Fleck, sondern steht einfach nur erstarrt da.
    »Ich dachte, hier kommt nie jemand rein.« Ich verschränke die Arme und mustere Lena eindrücklich. Ein Verdacht sticht mich, nagt irgendwo in meinem Bewusstsein, aber ich bekomme ihn nicht richtig zu fassen.
    »Stimmt ja auch. Außer … manchmal … außer den Lieferanten …«
    Während sie noch Ausflüchte stammelt, geht die Tür auf und er steckt den Kopf herein – der Junge von dem Tag, als Lena und ich über das Tor zum Labor geklettert sind, kurz nach unserer Evaluierung. Sein Blick bleibt an mir hängen und er erstarrt ebenfalls.
    Erst denke ich, das muss ein Missverständnis sein. Er hat sich bestimmt in der Tür geirrt. Gleich wird Lena ihn anschreien, ihm sagen, er soll abhauen. Aber dann setzt mein Verstand langsam wieder ein und mir wird bewusst, dass er Lena gerade beim Namen genannt hat. Das hier ist ganz offensichtlich kein Zufall.
    »Du kommst zu spät«, sagt Lena sanft. Mein Herz klappt zu wie ein Fensterladen und eine Sekunde lang wird die Welt vollkommen schwarz. Ich habe mich in allem und jedem geirrt.
    »Komm rein und mach die Tür zu«, sage ich mit scharfer Stimme. Der Raum wirkt viel kleiner, sobald er drinnen ist. Ich habe mich den Sommer über an Jungen gewöhnt, aber hier, an einem vertrauten Ort und am helllichten Tag, bin ich irritiert. Es ist so, wie zu entdecken, dass jemand anders deine Zahnbürste benutzt hat; ich fühle mich gleichzeitig schmutzig und verwirrt. Ich merke, wie ich mich Lena zuwende. »Lena Ella Haloway Tiddle.« Sehr langsam spreche ich ihren ganzen Namen aus, unter anderem, weil ich mich ihrer Existenz versichern muss – Lena, meine Freundin, die Besorgte, diejenige, die immer als Erstes für die Sicherheit plädierte und die sich jetzt heimlich mit Jungen verabredet. »Du bist mir ein paar Erklärungen schuldig.«
    »Hana, du erinnerst dich doch noch an Alex«, sagt Lena mit schwacher Stimme, als würde das – die Tatsache, dass ich mich an ihn erinnere – irgendetwas erklären.
    »Oh, sicher erinnere ich mich an Alex«, sage ich. »Was mir einfach nicht mehr einfällt, ist, was Alex hier zu suchen hat.«
    Lena macht ein paar wenig überzeugende entschuldigende Geräusche. Ihr Blick huscht zu seinem. Sie senden sich eine Nachricht. Ich kann es fühlen, sie ist verschlüsselt und für mich unverständlich. Dennoch spüre ich sie wie einen Stromschlag, als wäre ich gerade zu nah an einem Grenzzaun vorbeigegangen. Mir dreht sich der Magen um. Früher konnten Lena und ich uns so verständigen.
    »Erklär’s ihr«, sagt Alex sanft. Als wäre ich gar nicht im selben Raum.
    Als Lena sich zu mir umdreht, ist ihr Blick flehend. Mit »Ich wollte nicht …« fängt sie an. Und dann atmet sie tief ein und legt los: Sie erzählt mir davon, wie sie Alex auf der Party bei der Roaring Brook Farm begegnet ist (der Party, zu der ich sie eingeladen hatte; ohne mich wäre sie nie dort hingekommen) und sich

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