Hana
scharf, zugleich etwas gelangweilt. »Mach dich doch mal locker!«
Da wird es mir klar. Es ist, als wäre alles aus mir weggesaugt worden, und das Einzige, was noch übrig ist, ist die harte Gewissheit: Er liebt mich nicht. Ich bin ihm egal. Das hier war für ihn nichts weiter als Spaß: ein verbotenes Spiel, wie bei einem Kind, das vor dem Abendessen ein paar Kekse stibitzt. Vielleicht hat er gehofft, er könne mich aus meiner Unterwäsche schälen. Vielleicht hatte er vor, meinen BH neben all die anderen zu hängen, ein Zeichen seines Triumphs.
Ich habe mich die ganze Zeit selbst betrogen.
»Sei nicht sauer.« Steve spürt offenbar, dass das der falsche Schachzug war. Seine Stimme wird wieder sanft, betörend. Er streckt erneut die Hand nach mir aus. »Du bist so hübsch.«
»Fass mich nicht an!« Ich zucke zurück und stoße aus Versehen mit dem Kopf gegen die Wand. Ein Sternenregen explodiert vor meinen Augen.
Steve legt mir eine Hand auf die Schulter. »Oh, verdammt, Hana. Alles in Ordnung?«
»Ich hab gesagt, fass mich nicht an!« Ich dränge grob an ihm vorbei, rase in das nächste Zimmer, das jetzt so voller Leute ist, dass ich kaum bis zur Treppe durchkomme. Ich höre Steve nur einmal meinen Namen rufen. Danach gibt er entweder auf oder seine Stimme wird vom Lärm verschluckt. Es ist heiß; alle sind schweißnass, in den Schatten versunken, als wateten sie durch Öl. Selbst als mein Blick wieder klarer wird, bin ich unsicher auf den Beinen.
Ich brauche frische Luft.
Ich muss hier raus. In meinem Kopf dröhnt es und das liegt nicht mehr an der pulsierenden Musik – ein entfernter, hoher Schrei, der mich zweiteilt.
Ich bleibe stehen. Nein. Der Schrei ist echt. Irgendjemand schreit. Zuerst denke ich, dass ich mir das einbilde – es muss die Musik sein, die weiterkreischt –, aber dann schwillt das Geschrei plötzlich an und wird zu einer riesigen Welle, die über den Lärm der Band hinwegrollt.
»Lauft! Razzia! Lauft!«
Einen Moment lang bin ich wie erstarrt, vor Angst gelähmt. Und dann bricht die Musik plötzlich krachend ab. Jetzt ist da nichts weiter als Geschrei und ich werde geschubst, von den anstürmenden Leuten um mich herum weggestoßen.
»Razzia! Lauft!«
Raus. Raus. Ich muss hier raus. Jemand rammt mir den Ellbogen in den Rücken und ich kann mich nur mit Mühe aufrecht halten. Die Treppe – ich muss zur Treppe. Ich kann sie von meinem Platz aus sehen, kann eine Welle aus Leuten sehen, die sich hinaufkämpfen und -boxen. Dann ertönt plötzlich das laute Krachen von splitterndem Holz und das Geschrei schwillt an. Die Tür am Kopf der Treppe ist zerschmettert worden; die Leute dahinter fallen, stürzen in die Leute hinter ihnen, die ihrerseits stürzen, hinunterstürzen …
Das geschieht nicht wirklich. Das kann nicht sein.
Ein Mann zeichnet sich riesig im großen, klaffenden Loch der zerschmetterten Tür ab. Er hat ein Gewehr. Ein Aufseher. Dann schießen hinter ihm plötzlich zwei enorme Umrisse hervor, direkt in die Menge, und die Schreie werden noch lauter, dazwischen Knurren und Schnappen.
Hunde.
Als die Aufseher sich ihren Weg bahnen, löst sich mein Körper endlich aus seiner Starre. Ich wende mich ab, weg von der Treppe in die wimmelnde Menschenmenge. Alle drängen und rennen in unterschiedliche Richtungen, mit offenen Mündern, in Panik. Ich bin von allen Seiten eingeschlossen. Als es mir endlich gelingt, mich aus dem Hauptraum zu kämpfen, sind bereits mehrere Aufseher die Treppe heruntergekommen. Ich werfe einen Blick zurück und sehe, wie sie ihre Schlagstöcke schwingen.
Eine Stimme dröhnt durch ein Megafon: »Dies ist eine Razzia. Keiner verlässt den Raum. Widerstand ist zwecklos.«
In dem Zimmer mit den schmuddeligen Matratzen und dem Sofa ist hoch oben in der Wand ein kleines Fenster und Leute drängen sich davor, schreien sich an, tasten nach einem Riegel oder irgendeiner Möglichkeit, es zu öffnen. Ein Mädchen nimmt ein Stück Sperrholz von dem Stapel mit Abfall in der Ecke, springt auf das Sofa und schleudert den Stab gegen das Fenster. Das Glas zerspringt. Sie steigt auf die Armlehne des Sofas, hievt sich hoch und zwängt sich hindurch. Jetzt kämpfen Leute darum, hier rauszukommen. Sie schlagen nacheinander, boxen sich, um der Nächste zu sein.
Ich blicke über die Schulter. Die Aufseher kommen näher, ihre Köpfe wippen über dem Rest der Menge wie finster blickende Seeleute, die sich durch einen Sturm kämpfen. Ich werde es nie rechtzeitig
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