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Hana

Hana

Titel: Hana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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dann kurz vor Sonnenuntergang mit ihm unten am East End Beach getroffen hat.
    »Da … da hat er mir die Wahrheit gesagt. Dass er ein Invalide ist«, sagt sie, den Blick fest auf mich gerichtet. Sie presst das Wort Invalide in normaler Lautstärke hervor. Unbewusst schnappe ich nach Luft. Es ist also wahr; diese ganze Zeit über, während die Regierung es wieder und wieder dementierte, haben Menschen ungeheilt und unkontrolliert an den Rändern unserer Städte gelebt.
    »Ich bin dich letzte Nacht suchen gegangen«, sagt Lena ruhiger. »Als ich erfuhr, dass es eine Razzia geben würde … habe ich mich rausgeschlichen. Ich war dort, als … als die Aufseher gekommen sind. Ich habe es nur knapp nach draußen geschafft. Alex hat mir geholfen. Wir haben uns in einem Schuppen versteckt, bis sie weg waren …«
    Ich schließe die Augen und öffne sie wieder. Mir fällt ein, wie ich mich auf dem Bauch in der feuchten Erde vorgekämpft habe und mit der Hüfte gegen das Fenster gestoßen bin. Mir fällt ein, wie ich aufgestanden bin und die dunklen Umrisse von Leichen gesehen habe, die wie Schatten im Gras lagen – und die deutliche Kontur eines kleinen Schuppens, der zwischen den Bäumen kauerte.
    Lena war dort. Das ist fast unvorstellbar.
    »Ich glaub’s nicht. Ich glaub nicht, dass du dich während einer Razzia rausgeschlichen hast – meinetwegen.« Meine Kehle fühlt sich schon wieder an wie zugeschnürt und ich zwinge mich dazu, nicht zu weinen. Mich überwältigt ein seltsames Gefühl, das ich nicht benennen kann: Es überspült das Schuldgefühl und den Schrecken und den Neid; es streckt sich ganz tief in mir aus und bindet mich an Lena.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit sehe ich sie richtig an. Ich habe Lena immer für hübsch gehalten, aber jetzt wird mir klar, dass sie irgendwann – diesen Sommer? Dieses Jahr? – schön geworden ist. Ihre Augen scheinen noch größer geworden zu sein und ihre Wangenknochen ausgeprägter. Ihre Lippen dagegen sehen weicher und voller aus.
    Ich habe mich neben Lena nie hässlich gefühlt, aber plötzlich tue ich genau das. Ich komme mir zu groß, hässlich und knochig vor, wie ein strohblondes Pferd.
    Lena will gerade etwas sagen, als es laut an der Tür klopft, die zum Laden führt. Jed ruft: »Lena? Bist du da drin?«
    Instinktiv schiebe ich Alex zur Seite, so dass er hinter die Tür stolpert, gerade als die von der anderen Seite her aufgeht. Glücklicherweise kriegt Jed sie nur ein paar Zentimeter weit auf, bevor sie an eine große Kiste mit Apfelmus stößt. Ich frage mich flüchtig, ob Lena sie genau deswegen da hingestellt hat.
    Hinter mir kann ich Alex geradezu spüren: Er ist gleichzeitig sehr wachsam und sehr still, wie ein Tier kurz vor dem Sprung. Die nur einen Spalt geöffnete Tür dämpft Jeds Stimme. Lena antwortet ihm lächelnd. Ich kann nicht glauben, dass das dieselbe Lena ist, die zu hyperventilieren begann, wenn sie vor der Klasse auch nur etwas vorlesen sollte.
    Mein Magen krampft sich zusammen, Bewunderung und Groll verknoten sich darin. Die ganze Zeit über dachte ich, wir würden uns auseinanderentwickeln, weil ich Lena hinter mir zurückließ. Aber in Wirklichkeit war es andersrum. Sie hat gelernt zu lügen.
    Sie hat gelernt zu lieben.
    Ich kann es nicht ertragen, diesem Jungen so nah zu sein, diesem Invaliden, Lenas Geheimnis. Meine Haut juckt.
    Ich strecke den Kopf um die Tür herum. »Hi, Jed«, sage ich fröhlich. Lena wirft mir einen dankbaren Blick zu. »Ich bin nur kurz vorbeigekommen, um Lena was zu geben. Und da haben wir uns ein bisschen verquatscht.«
    »Wir haben Kundschaft«, sagt Jed matt und hält den Blick auf Lena gerichtet.
    »Ich komme sofort«, sagt sie. Als Jed sich knurrend zurückzieht und die Tür hinter sich schließt, atmet Alex erleichtert auf. Jeds Unterbrechung hat die Spannung im Raum wieder anwachsen lassen. Sie kriecht über meine Haut wie Hitze.
    Vielleicht spürt auch Alex die Anspannung, zumindest kniet er sich hin und fängt an, seinen Rucksack auszupacken. »Ich hab ein paar Sachen für dein Bein mitgebracht«, sagt er leise. Er hat Medikamente und Verbandsmaterial dabei. Als Lena ihre Hose bis zum Knie hochkrempelt, wird eine scheußliche Wunde an ihrer Wade sichtbar. Mich schwindelt kurz und ich verspüre einen Anflug von Übelkeit.
    »Verdammt, Lena«, sage ich und bemühe mich um einen unbeschwerten Tonfall. Ich will nicht, dass sie ausflippt. »Der Hund hat dich ganz schön erwischt.«
    »Das wird schon

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