Hanan 1 - Brüder der Erde
Stimmt das?«
»Ja«, sagte er.
»Kta hat auch mit mir über dich gesprochen. Er hat Angst um mich. Er hat Angst um uns beide. Aber ich vertraue deinem Herzen, wo ich deine Gedanken nicht begreife. Ich weiß, daß du mir niemals weh tun wirst, und wenn es doch geschehen sollte, so ohne Absicht und gegen deinen Willen.« Sie legte ihre warmen Hände auf die seinen. »Wir wollen jetzt Tee trinken, mein Ehemann, um unseren Herd anzuwärmen.«
An Tee hatte er eigentlich jetzt nicht gedacht, aber er widersprach ihr nicht. Sie steckte den kleinen Herd an, der den Raum auch heizte, machte Wasser heiß und goß den Tee auf. Sie setzten sich nebeneinander auf das Bett, als sie ihn tranken.
Er hatte vieles auf dem Herzen, wußte jedoch nicht, wie er es ihr sagen sollte. Und auch Mim schwieg. Aber sie blickte ihn immer wieder verstohlen an.
»Hatten wir jetzt nicht genug Tee?« fragte er schließlich mit der geduldigen Höflichkeit, die er auf Elas gelernt hatte.
Mim lächelte schüchtern. »Was ist jetzt der Brauch bei euch?« fragte sie ihn.
»Was ist der eure?«
»Ich weiß es nicht«, gab sie zu, blickte zu Boden und schien ratlos. Dann begriff er zum erstenmal den Grund dafür und war entsetzt, nicht eher daran gedacht zu haben: Sie war noch nie mit einem Mann ihrer eigenen Art zusammengewesen oder überhaupt mit einem anständigen Mann.
»Stell die Teetassen fort«, sagte er, »und komm her, Mim.«
Das Morgenlicht fiel durch das Fenster, und Kurt erwachte. Seine Hand glitt über die glatte Haut Mims, die neben ihm lag, und er blickte sie an. Ihre Augen waren geschlossen, ihre schwarzen Wimpern kontrastierten zu ihrer goldbraunen Haut, ihr Mund war im Schlaf leicht geöffnet. Auf ihrer rechten Schläfe war eine kleine Narbe. Andere, nicht so kleine Narben zerrissen ihre Hüften und ihren Rücken. Daß jemand Mim so brutal mißhandelt haben konnte, war ein Gedanke, den er nicht ertragen konnte.
Er beugte sich über sie, küßte sie sanft auf die Lippen, strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte sie an.
»Guten Morgen, Mim.«
Sie schlug die Augen auf, und ihr Arm schlang sich um seinen Hals. Dann blinzelte sie rasch ein paar Tränen fort, die ihr plötzlich in die Augen stiegen.
»Mim?« Er blickte sie erschrocken an, aber sie lächelte und lachte sogar ein wenig.
»Lieber Kurt«, sagte sie und nahm sein Gesicht in beide Hände. Dann ließ sie ihn plötzlich wieder los, befreite sich aus seinen Armen und sprang aus dem Bett. »Oh, mein Lord. Ich muß mich beeilen. Und du auch. Die Gäste werden schon auf uns warten.«
»Die Gäste?« fragte er bestürzt. »Mim...«
Sie hatte bereits ihren Morgenmantel übergeworfen und lief ins Bad. Er hörte, wie sie Holz in das Feuerloch des Ofens steckte.
»Das ist so Brauch«, sagte sie und steckte den Kopf aus der Badezimmertür. »Sie kommen gleich nach Sonnenaufgang zurück und nehmen das Frühstück mit uns ein. Bitte, Kurt, beeil dich, damit du rechtzeitig fertig bist. Sie werden schon im
rhmei
sein, es ist lange nach Sonnenaufgang, und sie werden über uns lachen.«
Es war eben der Brauch, sagte sich Kurt ergeben, als er aufstand und sich dazu zwang, die Füße auf den eisigen Boden zu setzen. Er hatte sich diesen Morgen viel angenehmer und wärmer vorgestellt. Er ging zu Mim ins Bad, und sie wusch ihm den Rücken. Das Wasser war angenehm heiß, und Dampf erfüllte den kleinen Raum. Mim machte es nichts aus, daß sie ihren Morgenmantel völlig durchnäßte.
Sie war zufrieden und glücklich mit ihm.
Das sagten ihm auch ihre Blicke und die zärtlichen Berührungen ihrer Hände.
Es schien Mim äußerst unangenehm zu sein, die Treppe hinunterzugehen. Kurt spürte, daß sie sogar zitterte. Er griff nach ihrem Arm, um sie zu stützen, aber sie befreite sich von seinem Griff und ging wie eine richtige Nemet-Lady, allein und unabhängig, zwei Schritte hinter ihm.
Gäste und Familienmitglieder erwarteten sie am Fuß der Treppe und führten sie in den
rhmei
. Dabei lachten sie ausgelassen und machten zweideutige Anspielungen, wie sie Kurt bei den zurückhaltenden Nemet noch nie erlebt und nicht für möglich gehalten hatte. Er wurde beinahe ärgerlich, aber als Mim darüber lachte, wußte er, daß auch dies zum Ritual gehörte, und lachte mit.
Nach der förmlichen Begrüßung im
rhmei
trug Aimu den heißen, süßen Morgentee auf. Die Älteren saßen auf Stühlen, während die Jungen, Kurt und Mim eingeschlossen, auf Fellen hockten, ihren Tee tranken
Weitere Kostenlose Bücher