Hanan 2 - Weltenjäger
Worten kam Zorn, Besorgnis, Angst vor Chimele. Daniel griff wütend nach dem letzteren Gefühl, wogegen sich Aiela heftig wehrte.
›Daniel. Denk nach! Du weißt nicht, wohin du gehen oder was du mit dem Mädchen anfangen sollst.‹
In Ordnung. Niederlage. Aiela erkannte, wie sehr Daniel seinen Auftrag verabscheute. Da er ein Mensch war, hatte er sich unbemerkt auf der Oberfläche von Priamos bewegen können, als einer der zahlreichen Söldner, die in kleinen Banden auf Befehl der Amaut plünderten und mordeten. Er war ein harter Mann, dieser Daniel: Er konnte das schwere, primitive Gewehr bedienen, das von seinem Gürtel hing. Sein schmaler Körper konnte die Märsche, die Zeltlager, die entsetzlich primitiven Bedingungen, unter denen die menschlichen Streitkräfte operierten, aushalten. Aber er war nicht mit dem Herzen dabei. Ihm war sterbensübel geworden, nachdem er einen einzigen Mann getötet hatte, und Anderson, der Söldnerführer, hatte ihn gewarnt, man würde an ihm ein Exempel statuieren, wenn er sich irgendeinem Befehl widersetzte. Diese Drohung bedeutete Daniel nichts. Wenn er die Befehle Chimeles von Ashanome ignorieren konnte, dann konnte ihm nichts, was sich der tierische Anderson ausdachte, etwas anhaben; glücklicherweise hatte Anderson das nicht begriffen.
›Ich kann dir nicht helfen‹
, sagte Aiela.
›Das Kind weinte und wollte nach Hause, und du hast völlig den Kopf verloren und jede andere Verpflichtung vergessen. Und nun bin wohl ich der Feind.‹
›Nein‹
, dachte Daniel, durch Aielas Analyse gereizt.
›Das bist du nicht.‹
Und:
›Ich wünschte, es wäre so‹
– denn er war in seinem Menschsein verletzt.
›Hör mir zu, Daniel! Nimm meinen Rat an und laß dich von mir aus dieser unglaublichen Lage herausführen.‹
Der Wortwahl nach hätte Chimele sprechen können. Daniel erkannte es.
›»Töte das Mädchen!« Warum kommst du nicht heraus mit dem Vorschlag? »Töte sie! Ein Leben für so viele.« Sag es doch, Aiela! Das ist es doch, was Chimele von mir will.‹
Er drückte das schlafende Kind so fest an sich, daß sie aufwachte und in der Erinnerung aufschrie und um sich schlug.
»Still!« sagte er. »Willst du selbst ein Stückchen gehen?«
»Ich werde es versuchen«, sagte sie, und er wählte ein glattes Stück auf der unbefestigten Straße, um sie herunterzulassen; sie zupfte in nervöser Sittsamkeit am Saum ihres zerrissenen Hemds. Ihre Füße waren von den Stoppeln zerstochen und von Steinen gequetscht. Sie hinkte so, daß man es nicht mit ansehen konnte, und streckte die Hände aus, um auf den Außenkanten ihrer Füße zu balancieren. Er fluchte und griff zu, um ihr wieder aufzuhelfen, aber sie weigerte sich und sah mit ihrem im Mondlicht blassen Elfengesicht zu ihm auf.
»Nein, ich kann gehen. Es tut nur am Anfang weh.«
»Wenn wir die andere Straße erreichen, werden wir uns westlich halten. Vielleicht finden wir eine Flüchtlingsfamilie – irgend jemand muß doch übriggeblieben sein.«
»Wirst du diese Männer verlassen und nicht mehr zu ihnen zurückkehren?«
Die Frage verwirrte ihn. Aiela bedrängte ihn wie ein Echo mit derselben, und Daniel schirmte sich ab. »Die ziehen mir die Haut ab, wenn sie mich jetzt finden. Vielleicht gehe ich nach Nordwesten und schließe mich einer anderen Bande an.« Dann, zu Aiela:
›Eine Nacht Aufschub, höchstens einen Tag. Ich kann es schaffen. Ich werde mir irgend etwas ausdenken.‹
»Oder vielleicht gehe ich auch nach Westen. Ich bringe dich auf jeden Fall in Sicherheit, bevor ich etwas anderes unternehme.«
›Ein Mann allein kann es nicht quer durch dieses Land schaffen‹
, beharrte Aiela.
›Sieh zu, daß du sie loswirst. Laß sie gehen. Nein! Hör zu, schließ mich nicht aus! Ich werde dir helfen. Zu deinen Bedingungen. Gib mir Informationen, und ich verteidige dich bei Chimele.‹
Daniel verwünschte ihn und schloß sich ab. Schon die Andeutung, dem Mädchen könne ein Leid geschehen, zerriß Aiela das Herz; aber er hatte Angst. Sein Volk hatte die Scheu vor den Iduve mit der Muttermilch eingesogen, und er war kein Mensch; Daniel kannte die Kallia so gut, und doch gab es noch dunkle Stellen, Reaktionen, die er nicht voraussehen konnte, Dinge, die damit zu tun hatten, daß man Mensch oder Kallia war. Aielas Volk war nicht fähig zu kämpfen: Es lag nicht in der Natur der Kallia, eine Tyrannei hervorzubringen, nicht in einer Kultur, in der es keine höchste Exekutivgewalt gab, sondern eine Hierarchie von
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