Hand in Hand in Virgin River
eine neue Familie. So war es ihm nicht so wichtig gewesen, und Courtney pendelte eine Weile zwischen seinem und Liefs Wohnsitz hin und her. Stu erklärte sich damit einverstanden, mit Lief das Sorgerecht zu teilen, behielt allerdings das Hauptsorgerecht.
Dann kam dieser schreckliche Tag, an dem Stu verkündete, dass er genug von Courtney habe. Es hätte einer der schönsten Tage werden können, aber die Verzweiflung, in die diese Aussage sein kleines Mädchen gestürzt hatte, hatte Lief beinahe in den Wahnsinn getrieben. Liefs fataler Fehler war, dass er keine rechtlichen Schritte eingeleitet hatte, um sich damals gleich das alleinige Sorgerecht für Courtney zu sichern. Stattdessen hatte er Courtney aufgenommen und ihr versprochen, dass sie nicht mehr zu Stu zurück müsste, nicht einmal übers Wochenende, und er hatte nach einem Wohnort außerhalb der Stadt gesucht. Einen Platz, der weit weg von Lärm, Chaos und Stu war.
Als er heute mit dem Anwalt telefonierte, informierte ihn dieser, dass Lief sich nicht nur strafbar machen würde, wenn er verhinderte, dass Stu seine Tochter in den Ferien sah, sondern dass es darüber hinaus auch noch Liefs Antrag auf das alleinige Sorgerecht schaden würde. „Courtney ist in ein paar Jahren volljährig“, meinte sein Rechtsberater. „Ein Richter berücksichtigt bei seiner Entscheidung auf jeden Fall auch Courtneys Wunsch, wo und bei wem sie wohnen möchte. Wenn Sie nun kooperieren, wird es leichter. So schwer es Ihnen erscheinen mag, sich damit zu arrangieren, aber in Ihrem eigenen und Courtneys Interesse ist es das Beste.“
„Da wird sie ganz anderer Meinung sein“, erwiderte Lief.
Instinktiv machte er sich auf den Weg zu Kelly, um mit ihr zu sprechen. Ein Blick in sein wütendes Gesicht genügte, und sie fragte: „Oh-ha. Was ist passiert?“
„Hast du ein bisschen Zeit zum Reden? Ich muss mit jemandem reden. Ich fahre nach Grace Valley und spreche mit dem Therapeuten, doch zuerst muss ich mir über einiges klar werden.“
„Es geht um Courtney, stimmt’s?“
Er schüttelte den Kopf. „Nein, aber das kommt als Nächstes. Das weiß ich. Es betrifft ihren Vater.“
Kelly runzelte die Stirn. „Du hast ihn so selten erwähnt, dass ich nicht gedacht hätte, dass er eine Rolle spielt.“ Sie deutete auf einen Stuhl vor dem Küchentresen und schenkte ihm eine Tasse Kaffee ein. „Was ist los?“
„Ich hätte ihm nie den Rücken zuwenden dürfen“, erwiderte Lief. „Ich weiß, dass es dir sicher schwerfällt, dir das vorzustellen, aber bevor Lana starb, war Courtney das süßeste, netteste und liebenswerteste Kind der Welt. Es gab fast nie Probleme. Sie war sehr diszipliniert. Doch nach dem Tod ihrer Mutter verwandelte sich ihr Leben in die reinste Hölle. Nicht nur, weil die arme Kleine in ihrer Trauer versank, sondern da sie bei Stu, ihrem einzigen noch lebenden Elternteil, wohnte und mich nur an dem einen oder anderen Wochenende besuchte. Und im Haus ihres Vaters hatte man sie schlimmer behandelt als einen Hund.“
„Wie das, Lief?“, hakte sie nach. „Hat man sie misshandelt?“
„Stus Frau ist eine echt miese Zicke, und seine beiden Söhne sind Rotzbengel. Ich glaube, seine Jungs müssten inzwischen vielleicht so sieben und zehn Jahre alt sein. Vor zwei Jahren also ungefähr fünf und acht. Sie waren schreckliche, freche Monster. In der Familie wurde andauernd herumgeschrien und gestritten. Courtney kam am Wochenende in Tränen aufgelöst zu mir und bettelte mich an, sie nie wieder zu zwingen, dorthin zurückzugehen, allerdings waren mir die Hände gebunden. Einmal hatte sie sogar die Bissspuren eines Kindes an ihrem Oberschenkel! Ein Biss, der so heftig war, dass ich sie zum Arzt brachte. Und die Kleider in ihrem Koffer waren alle kaputt und fleckig – keine Flecken vom Essen, sondern Tinte, Buntstifte, Bleichmittel. Einer der kleinen Dreckskerle hatte ihr, während sie schlief, die Haare abgeschnitten. Es war ein Albtraum.“
„Weshalb hat ihr Vater zugelassen, dass sie so mit seiner Tochter umgingen?“
„Er war nicht da. Er ist ein bestenfalls mittelmäßiger Produzent, und seine Arbeitstage waren lang, oder er saß am Telefon oder vor dem Computer. Sherry, die Stiefmutter, passte nicht auf die Kinder auf – sondern sagte ihnen nur, sie sollten spielen gehen. Zu Courtney meinte sie, dass sie schon ein großes Mädchen sei und aufhören solle zu weinen. Ich habe es nicht geschafft herauszufinden, weshalb Stu sie überhaupt bei sich haben
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