Hand und Ring
den bessern Ständen in Verbindung zu setzen. Einer solchen bedurfte er oft dringend, wo es galt, in vornehmen Häusern geschickte Nachforschungen anzustellen und mit seinen Herren oder schönen Damen Unterredungen oft peinlicher und heikler Art zu führen.
Sich der Polizei als Detektiv zur Verfügung zu stellen, wäre Horaz Byrd wohl von selbst niemals in den Sinn gekommen. Aber Leute in bedrängten Umständen können nicht allzu wählerisch sein. Eine Woche lang schwankte er noch, dann entschloß er sich und teilte seiner Mutter mit, welcher Vorschlag ihm gemacht worden sei. Die vom Unglück schwergebeugte Frau legte ihm weniger Schwierigkeiten in den Weg, als er erwartet hatte, und ehe er sich dessen noch recht klar bewußt ward, war der entscheidende Schritt getan: er hatte sich Gryces Leitung anvertraut und war bei der Neuyorker Geheimpolizei angestellt.
In der Öffentlichkeit erfuhr man nichts hiervon. Nur die höchsten Polizeibeamten kannten seinen Namen und verwandten seine Dienste zu besonderen Zwecken. ImHauptquartier der Polizei brauchte er nicht zu erscheinen, da er möglichst unbekannt bleiben sollte. Sein zuverlässiger Charakter, seine Talente und Fähigkeiten machten ihn jedoch bald zu einem geschätzten Mitglied der Geheimpolizei; im Hauptquartier hielt man große Stücke auf ihn, und nach Ablauf eines Jahres hatte er sich in seinen neuen Beruf völlig eingelebt.
Für gewöhnlich wurde Byrd nicht nach auswärts geschickt. Er war nur infolge besonderer Umstände dem Bezirksanwalt Ferris zur Verfügung gestellt worden, als dieser zu gewissen Nachforschungen bei dem Kriminalfall, der in Sibley verhandelt wurde, eines umsichtigen und verschwiegenen Mannes bedurfte. Der Polizeiinspektor hatte dabei ausdrücklich die Bedingung gestellt, Byrds Stellung als Detektiv dürfte nicht öffentlich bekannt werden. Außer den wenigen Eingeweihten ahnte denn auch kein Mensch, daß der liebenswürdige, vornehm aussehende junge Fremde, welcher in dem Gasthofe des Ortes abgestiegen war, ein Mitglied der Neuyorker Polizei sei.
Der geheimnisvolle Mord wollte Byrd gar nicht aus den Gedanken – er wußte selbst nicht warum. Das Schreiben des Rechtsanwalts las er mit wahrer Herzenserleichterung. Brachte es ihm doch die Gewißheit, daß es mit dem Interesse der schönen jungen Dame an dem Verbrechen keine besondere Bewandtnis gehabt habe. Nur von weiblicher Neugier getrieben, war sie in dem Haus der Witwe erschienen. Er konnte nun seine Nachforschungen getrosten Mutes anstellen, ohne fürchten zu müssen, daß Fräulein Dare auf unliebsame Weise in die Sache verwickelt werden würde. So glaubte er wenigstens. – Zu seinem Leidwesen fand er schon bald darauf Veranlassung, seine Meinung abermals zu ändern.
Auf dem Bahnhof angekommen, um sich in Herrn Ferris' Auftrag nach Monteith zu begeben, bemerkte er unterden Fahrgästen, welche auf den Neuyorker Schnellzug warteten, auch Imogen Dare, eine Reisetasche in der Hand, zur Abfahrt gerüstet. – Sah das nicht täuschend nach Flucht aus? – Sie wollte sich aller ferneren Beobachtung entziehen, wollte Sibley und sein Geheimnis hinter sich lassen – und er selber – ein Polizeibeamter – hatte sie gewarnt, hatte ihr einen Wink gegeben, daß sie in Gefahr schwebe! – Trotz Orkutts beruhigender Zuschrift sah sich Byrd von neuen Zweifeln bestürmt, ja, sein Gewissen machte ihm Vorwürfe, daß er sich habe eine Pflichtverletzung zu schulden kommen lassen.
Und doch – die edle, ruhige Erscheinung, der feste, fast feierlich ernste Ausdruck in ihren Zügen, der stolze Blick ihrer Augen! – Er fragte sich wieder und wieder, ob es denn möglich sei, daß dies Mädchen Kenntnis von dem schändlichen Verbrechen gehabt habe. – Es nützte nichts, daß er sich vornahm, sich aller Gedanken daran zu entschlagen: wie eine Klette hing ihm der Zweifel an. Er fühlte sich unwiderstehlich in Imogens Nähe gezogen, er beobachtete sie verstohlen, und als er sah, daß ein junger Mann an sie herantrat, offenbar in der Absicht, sie anzureden, horchte er aus allen Kräften, was sie sagen würde.
Es waren nur wenige Worte. Fräulein Dares Bekannter erkundigte sich, wie lange sie in Buffalo zu bleiben gedenke, und sie erwiderte, sie wisse noch nicht, ob sie eine Woche oder einen Monat abwesend sein werde. Dann brauste der Zug heran, und die Reisenden stiegen ein.
Das Geschäft, das Byrd nach Monteith gerufen hatte, hielt ihn unerwartet lange in dieser kleinen Nachbarstadt auf. Es war bereits
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