Hand und Ring
das Vertrauen zwischen ihnen wieder herzustellen – sonst war alles verloren.
Ihre Zurückhaltung und Verschlossenheit nahm von Tag zu Tag zu, und mehr und mehr begann ihm die Hoffnung auf ihren Besitz zu schwinden, für den er doch mit Freuden sein halbes Leben hingegeben hätte. Wäre er nur wenigstens im stande gewesen, die Quelle des geheimen Kummers zu ergründen, der ihr am Herzen nagte! Entsprang der Jammer, den er in ihren starren Augen las, bitterem Seelenschmerz oder einer Reue, die keine Zeit zu lindern vermag – er wußte es nicht zu sagen. Je länger die Qual dauerte, desto unerträglicher ward sie; ihm bangte für seinen Verstand, wie für den ihrigen.
Endlich kam der Tag, der ihm die Zunge löste. In seiner Gegenwart war ihr ein Brief überreicht worden, dessen Inhalt sie völlig zu überwältigen schien. Es war, wie wir wissen, die Botschaft des Detektivs Hickory, welche sie, trotz der Adresse von fremder Hand, für eine wirkliche Zuschrift Craik Mansells halten mußte. Er bat darin um eine Zusammenkunft und setzte Zeit und Stunde fest. In ihrer Ueberraschung sah sie sich außer stande, den Aufruhr in ihrem Innern vor dem forschenden Auge zu verbergen, das auf sie gerichtet war.
Was ist es, Imogen? fragte Orkutt mit angstvollbebender Stimme und streckte die Hand aus, als wolle er das Papier an sich reißen.
Statt der Antwort trat sie an den Kamin, in dem ein Feuer loderte, und warf den Brief in die Glut. Erst als er zu Asche verzehrt war, wandte sie sich nach Orkutt um. Verzeihung, murmelte sie, dies Schreiben durfte niemand zu Gesicht bekommen.
Er stand unbeweglich da, die Hand auf das Herz gepreßt: wie jenes elende Blatt Papier, so sollte für ihn Liebe und Hoffnung in nichts zerfallen.
Sie sah seinen Blick und senkte das Haupt vor Schmerz und Scham.
Orkutt bezwang sich nicht länger. Imogen, rief er, ihre Hand leidenschaftlich ergreifend, sagen Sie mir, was Ihnen solche Qual bereitet. Ich liebe Sie und kann Ihren Kummer nicht verstehen. Vertrauen Sie mir nur an, woher er stammt; alles übrige will ich ertragen.
Wie tief sie auch in ihr eigenes Leid versunken war, die flehende Bitte erschütterte sie doch. Sie blickte ihn teilnehmend an: Bin ich schuld an Ihrer Pein? rief sie aus. Zu lindern vermag ich sie nicht; könnte ich nur wenigstens weinen, damit Sie sehen, daß ich nicht von Stein bin, daß ich noch Mitgefühl habe für Anderer Schmerz, aber mein Tränenquell ist versiegt. Mein Pfad führt durch Jammer und Verzweiflung; ich muß ihn allein gehen und darf nicht schwach sein, damit ich nicht erliege. Fragen Sie mich nicht warum; halten Sie mich nicht zurück; dringen Sie nicht weiter in mich! Mir hilft nur Einsamkeit und Schweigen.
Sie wollte das Zimmer verlassen, aber er hielt ihre Hand fest. Seine Bestürzung, seine Angst hatten den Gipfel erreicht.
Sie sollen reden! rief er; schon allzu lange martert mich diese Heimlichkeit. Ich muß die Ursache Ihres Kummers kennen, die auch mein Glück vernichtet.
Stumm blickte sie ihn an; in ihren Augen stand der unerschütterliche Entschluß zu lesen, eher zu sterben, als ihr Schweigen zu brechen. Er gab den nutzlosen Kampf auf und wandte sich ab. Schon im nächsten Augenblick war sie verschwunden.
Von nagenden Zweifeln umhergetrieben, fand Orkutt nirgends Ruhe; er war außer stande, die Pflichten seines Berufs mit gewohnter Genauigkeit zu erfüllen; hunderterlei Vermutungen über den Inhalt des vor seinen Augen zerstörten Briefes peinigten ihn ohne Unterlaß, und die Worte, welche Imogen gesprochen, blieben ihm ein dunkles Rätsel. Daß sie nach dem heftigen Gewitter, welches am Nachmittag hereinbrach, erst spät heimkehrte und wie es schien, in fieberhafter Erregung, erhöhte noch seine Besorgnis. Seitdem fürchtete er an jedem neuen Morgen, daß das entsetzliche Schicksal hereinbrechen, die unheilschwere Wolke sich entladen werde, welche, über ihren Häuptern schwebend, eine unbekannte, aber unaufhaltsam nahende Gefahr barg. Er sah, daß Imogen ein Ereignis, eine Nachricht erwarte, nach der sie eifrig in den Zeitungen forschte, aber lange strengte er seinen ganzen Scharfsinn vergebens an, um zu erraten, was es sei, bis er endlich glaubte, es gefunden zu haben.
Eines Tages, als er vom Gericht kam, ließ er sie zu sich rufen.
Es hat sich etwas ereignet, woran Sie möglicherweise Anteil nehmen werden, sagte er ohne alle Vorbereitung, mit grausamer Ruhe. Der Mörder der Frau Klemmens hat sich soeben den Hals abgeschnitten.
Während er
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