Hand und Ring
bevor Valerian Hildreth frei ist, entgegnete sie leise, aber bestimmt.
Er fuhr zurück wie von einer Natter gestochen und sah sie mit eisigen Blicken an.
Lieben Sie ihn so glühend, daß Sie sich verkaufen wollen um seinetwillen? fragte er finster.
Ein Ausdruck der Entrüstung flog über ihre Züge, doch sie drängte das Wort zurück, das ihr auf den Lippen schwebte.
Antworten Sie! rief Orkutt, der jetzt fühlte, daß er die Macht habe, sie zu zwingen. Ich muß wissen, welche Gefühle Sie für diesen Mann hegen. Lieben Sie ihn, Imogen? Reden Sie, oder ich schwöre Ihnen, ich rühre keine Hand, um ihm beizustehen, und er wird meiner Hilfe vielleicht mehr bedürfen, als Sie glauben.
Die Drohung rief ihren Stolz wach. Und wenn ich ihn liebte, murmelte sie mit abgewandtem Blick, wäre es ein Unrecht? Er ist jung, schön und unglücklich. Fragen Sie nicht weiter!
Orkutt trat einen Schritt zurück. Ich habe genug gehört, sagte er mit erzwungener Ruhe; jetzt ist mir alles klar, Ihre Angst, Ihr Entsetzen, Ihre geheimen Zweifel, Ihr unbegreifliches Benehmen. Der Mann, den Sie liebten, war in Gefahr, und Sie wußten nicht, wie Sie ihn befreien sollten. Ich beklage Sie, Imogen, aber helfen kann ich Ihnen nicht. Ich würde Sie zu meinem Weibe machen, trotzdem Ihr Herz einem andern gehört, denn ich liebe Sie leidenschaftlich – aber ich kann Ihr Verlangen nicht erfüllen. Auf meine Berufsehre ist während meiner ganzen Laufbahn noch nie ein Flecken gefallen, sie muß unangetastet bleiben. Man kennt mich als ehrenwerten Mann, und ich werde meinen Ruf vor der Welt behaupten, so lange ich lebe. Selbst wenn ich wollte, könnte ich aber jetzt nichts für den Gefangenen tun; die Beweise sprechen zu stark gegen ihn. Nur wenn sich aufs überzeugendste herausstellte, daß ein anderer die Tat begangen hat, würde das Gericht an seine Unschuld glauben und ihn in Freiheit setzen.
So ist also keine Hoffnung vorhanden? fragte sie voller Verzweiflung.
Für jetzt keine, Imogen, lautete seine düstere Antwort.
Als Orkutt abends einsam am Kamin saß, brachte ihm ein Diener folgenden Brief:
»Werter Freund!
Es duldet mich nicht länger unter einem Dache, wo ich den Schutz und die Freundschaft eines Ehrenmannes genoß. Ich habe eine Pflicht zu erfüllen, welche mich für immer aus dem angesehenen Kreise verbannt, indem ich gelebt habe. Von Schmach befleckt, wird Imogen Dare fortan ihr Haupt nur an einer Stätte bergen, wo sie durch ihrer Hände Arbeit leben kann. Was auch mein Geschick sein wird, ich muß es allein tragen. Ihr ehrenwerter Name darf nicht länger in Gemeinschaft mit dem meinigen genannt werden. Sollte dies Ihr großmütiges Herz kränken, so ersticken Sie das Gefühl. Wenn Sie diese Zeilen lesen, habe ich Ihr Haus bereits verlassen, und nichts, was Sie sagen oder tun könnten, würde mich zur Rückkehr bewegen.
Leben Sie wohl und vergessen Sie das Mädchen, das Sie zum Lohn für Ihre Wohltaten fast so unglücklich gemacht hat, als sie selber ist!«
*
Während Orkutt diesen Brief las, öffnete gerade der Bezirksanwalt Ferris die Zuschrift von unbekannter Hand, in der Imogen Dare verdächtigt wurde.
Zwanzigstes Kapitel.
Als Ferris allein war, schwankte er lange, ob er mit dem Brief zu Orkutt gehen oder wirklich eine Unterredung mit Imogen Dare selbst suchen solle.
Er entschloß sich endlich zu letzterem, wenn auch mit innerem Widerstreben. Bisher hatte er für das Fräulein stets die größte Hochachtung gefühlt und an den Tag gelegt, ja er hatte gehofft, sein Freund werde sie als Gattin heimführen. Nun sollte ihr Name in aller Leute Mund kommen und mit dem schrecklichen Verbrechen in Verbindung gebracht werden. – Ferris würde viel darum gegeben haben, hätte er es hindern können; seine Stellung als Bezirksanwalt gestattete ihm jedoch nicht, persönlicheGefühle in Betracht zu ziehen. Hildreths Zustand heischte jede Rücksicht von seiten der Behörden; war Fräulein Dare imstande, das fehlende Beweisglied zu liefern, um den Verdacht des Gerichts auf einen andern zu lenken, so durfte dies nicht unbeachtet bleiben.
In Orkutts Wohnung, wohin Ferris am nächsten Morgen ging, erfuhr er, daß Fräulein Dare sich auf einige Tage nach Professor Darlings Villa begeben habe. Der Bezirksanwalt suchte sie dort auf und brauchte nicht lange zu warten. Mit ihrer gewöhnlichen, ruhigen Selbstbeherrschung trat Imogen in den Empfangssalon, wo er saß. Sie kam aus dem kleinen Arbeitszimmer im oberen Stock, wo sie soeben als
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