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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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angemeldet, sondern ihre Anweisungen mit träger Gleichgültigkeit befolgt. Während Dr. Cattermole sie auszahlte, wobei er ihr einen Klaps auf den Hintern versetzte, als sie sich zum Gehen wandte, hatte Mr Blake das Gefühl beschlichen, dass sie das alles längst kannte – und vieles mehr obendrein.
    Beim Wegräumen der Überbleibsel des Nachmittags hatte Mr Blake bemerkt, dass der Arzt seine letzten drei Platten zurückgelassen hatte. Doch Mr Blake hatte sie nicht weggeworfen, wie er sich eigentlich zu tun ermahnt hatte. Stattdessen hatte er sie in das Salzbad getaucht und die nackten weiblichen Fleischberge angestarrt, die vor seinen Augen erschienen, noch während seine eigenen Erinnerungen daran glücklicherweise verblassten.
    Dr. Cattermole hatte kein Wort über jenen Nachmittag verloren, bis Mr Blake seine fotografische Ausrüstung zusammenpackte, um seinen Dienst bei Mr Talbot anzutreten.
    »Diese Bilder«, hatte Cattermole gesagt, während er seinem Lehrling die Hand schüttelte, »Talbot könnte Interesse daran haben.«
     
    Jetzt stellte Blake zu seinem Entsetzen fest, dass Mr Talbot das Wort an ihn richtete. Ja, dass er ihn geradezu anschrie. »Kommen Sie schon, kommen Sie«, sagte er gerade. »Sagen Sie schon!«
    »In der Tat«, sagte Mr Blake. »Sie haben völlig recht, Sir.« Ohne zu wissen, wovon Mr Talbot sprach, stimmte er ihm einfach zu. Sein Dienstherr wirkte zufrieden.
    Mr Blake sah Alice an, ihr Blick verriet ihm allerdings nichts. Er lächelte, da er sich aus unerfindlichen Gründen auf einmal ihre Anerkennung wünschte. Sie starrte ihn an und wandte sich dann ab, als sei sie angewidert. Mr Blakes Wangen färbten sich rot.
    »Da habt ihrs«, donnerte Mr Talbot. »Mr Blake stimmt mir zu, und als Mann der Medizin und Wissenschaftler übersteigt sein Wissen bezüglich Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheit das deinige, darauf möchte ich wetten. Nun denn.« Er betrachtete Mr Blake, während er in seinen Taschen herumkramte. »Vielleicht ist es an der Zeit, dass die Damen uns verlassen.«
    Die Aussicht, allein mit Mr Talbot Portwein zu trinken, erfüllte Mr Blake mit tödlicher Bedrückung. Wäre es unverschämt oder auf irgendeine Weise unmännlich, Erschöpfung vorzugeben und sich auf seine Gemächer zurückzuziehen?
    Zusammen mit dem halb gerauchten Zigarrenstummel, den Mr Talbot eigentlich gesucht hatte, zog er ein zerknittertes Blatt Papier aus der Tasche. »Hm«, grunzte er. »Das hier ist letzte Woche für dich angekommen.« Er warf seiner Tochter einen Brief über die Tischplatte zu. »Ich hätte gute Lust, ihn ins Feuer zu werfen.«
    Der Briefumschlag war zerknittert und ganz wellig, weil er vermutlich nass geworden war. Die Adresse war nur lesbar, weil sie mit dem Stift in die Oberfläche des Papiers eingeritzt worden war. Mr Blake beobachtete überrascht, wie Alice ihrem Vater den Brief aus den ausgestreckten Fingern riss, als befürchte sie, er könne seine Meinung ändern und ihn wieder in seine Tasche stopfen.
    »Endlich!«, rief Mrs Talbot die Ältere und klatschte in ihre skelettartigen Hände, sodass ihre Ringe klirrten. »Ich habe doch gewusst, dass Lilian uns nicht vergessen würde. Danke, Edward, mein Lieber.«
    »Aber du hast ihn schon geöffnet!« Alice deutete auf den aufgerissenen Umschlag.
    »Das hier ist mein Haus. Jegliche Korrespondenz, die diese Schwelle überquert, ist von Interesse für mich. Besonders wenn sie von ihr stammt.« Mr Talbot schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie hat kein Recht, mit irgendjemandem hier zu kommunizieren. Sie hat ihre Wahl getroffen. ›Wie es schärfer nage als Schlangenzahn‹«, murmelte er Mr Blake düster zu. »Außerdem«, fügte er ein wenig verschämt hinzu, »ist es so gut wie unmöglich, ihn zu lesen. Die törichte Frau muss auf nassem Papier geschrieben haben. Entweder das, oder der Monsun hat ihn erwischt. Sie hätte ebenso gut auf Butter schreiben können.«
    »Aber er ist an mich adressiert«, protestierte Alice.
    »Und wenn schon!«, schrie Mr Talbot, dessen Gesicht purpurrot anlief. »Und bilde dir ja nicht ein, darauf antworten zu wollen. Zum einen habe ich die Adresse entfernt, und außerdem ist dir meine Posttasche versperrt. Und deinen Tanten.« Er ließ einen argwöhnischen Blick in die Runde schweifen. »Sluce behält die Dienstboten im Auge, sodass du dir auch dort keinen Kurier wirst ausheben können.« Mr Talbot wuchtete sich in die Höhe. Er wandte sich an Mr Blake. »Und für Sie, Sir, gilt dieses

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