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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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eine Maus einen langen samtenen Grat. Aus der Rocktasche zog Mr Talbot eine kleine Holzschachtel mit Glasdeckel hervor. Er schüttelte den Vorhang, entfernte die Maus und fing sie, als sie fiel, in der Schachtel auf. »Tatsächlich die Einundzwanzig!«, rief er.
    »Du lieber Himmel, Edwin«, murmelte Mrs Talbot die Ältere.
    »Diese Maus ist mindestens zwei Meilen weit gereist, um an diesem Abend hier zu sein!«, schrie Mr Talbot. »Die Sieben habe ich vorhin in meinem Ankleidezimmer gesehen, bin aber nicht schnell genug gewesen, um sie zu fangen.«
    Im Zimmer herrschte Schweigen. Sämtliche Blicke waren auf Mr Talbot gerichtet.
    »Gestatten Sie mir zu erklären«, sagte er. »Sie mögen vielleicht von der ›Ewigen Mausefalle‹ gehört haben. Es ist eine Vorrichtung, mit der man eine unbegrenzte Anzahl lebendiger Mäuse fangen kann. Ich hatte das Ding Anfang der Woche im Keller, und in einer einzigen Nacht sammelte es nicht weniger als fünfundzwanzig Tiere an.«
    Mrs Cattermole schnappte nach Luft und legte sich theatralisch die Hand an den Hals. Alice und Tante Lambert wechselten Blicke.
    »Da ich im Besitz einer solchen Menge Mäuse war, beschloss ich, ein Experiment durchzuführen«, fuhr Mr Talbot laut fort, als spräche er vor einer Versammlung der Royal Society. »Ich malte jeder Gefangenen eine Zahl auf den Rücken, von der Nummer eins bis zur Nummer fünfundzwanzig. Eine schwierige Aufgabe, das kann ich Ihnen sagen, aber der Mühe wert. Ich steckte die Mäuse zurück in ihren Kasten und brachte sie zwei Meilen weit weg, nach Whitmarsh Cross. Dann ließ ich sie am Straßenrand frei. Mein Ziel? Zu ermitteln, ob manche oder alle dieser Mäuse zu diesem Haus zurückkehren würden – zu dem Haus, in dem sie vielleicht zur Welt gekommen sind und in dem sie Schutz und Nahrung gefunden hatten, bis derartiger Luxus natürlich dank der Wirksamkeit der Ewigen Mausefalle unterbunden wurde. Ich beauftragte Sluce, das Haus auf keinen Fall zu verlassen, während ich mich in London aufhielt, sondern wachsam zu bleiben, falls eines dieser nummerierten Nagetiere in Erscheinung treten sollte. Er wusste von keiner Sichtung zu berichten. Aber das hier« – er tätschelte zärtlich seine Tasche –, »das ist die zweite, die ich heute Abend gesehen habe.«
    »Faszinierend!«, rief Dr. Cattermole und klatschte in die Hände.
    »In der Tat, Sir. Vielleicht ist der nächste logische Schritt, sie noch weiter wegzubringen. Vielleicht nach Charringdon, sechs Meilen weit weg, oder nach Bispham St Michael. Welche Strecke legt eine Maus zurück, um nach Hause zurückzukehren? Das ist eine Frage, Sir, auf die es bisher noch keine Antwort gibt.« Mr Talbot kehrte an seinen Platz zurück.
    »Edwin, du hast eine Maus in der Tasche«, sagte Mrs Talbot die Ältere. »Bei Tisch.«
    »Erlauben Sie, Sir.« Mr Blake erhob sich.
    »Ich nehme sie«, sagte Alice. »Wenn Sie mich entschuldigen wollen?«
     
    Alice seufzte erleichtert und sackte gegen die Esszimmertür, als sich diese hinter ihr schloss. Sie öffnete die Schachtel und ließ das Tier frei. Es sprang heraus, huschte den Gang entlang und verschwand hinter den Zahnrädchen und Schwungrädern der Apfelschälmaschine ihres Vaters.
    Sie ging durch das dunkle und stille Haus. Die Wunde an ihrem Kopf schmerzte, aber Alice war nicht müde. Ihre Schritte waren leicht, und im Dunkeln waren ihre Sinne scharf und konzentriert.
    Alice blieb bei der Sammlung orientalischer und südamerikanischer Messer und Schwerter ihres Vaters stehen. Sie waren gegenüber von einem hohen Fenster auf halbem Weg die Treppe hinunter an der Wand angebracht und wurden von einer wässrigen Lache Mondschein erhellt. Sie wählte eine Machete. Dann probierte sie die Klinge an ihrem Finger aus und spürte das Gewicht und die Balance des Buschmessers in ihrem Griff. Sie hatte es schon zuvor benutzt, war aber froh, dass es nichts von seiner Schärfe eingebüßt hatte und sich immer noch gut in ihrer Hand anfühlte. Mit einer schnellen Abwärtsbewegung schnitt sie durch die Luft. Es war ideal.
    Wie üblich setzten sich die Tanten über Mr Talbots Sparsamkeit hinweg und hatten die Lampen im Wintergarten brennen lassen. Alice nahm eine davon von einem Tisch und ging zu der schmiedeeisernen Wendeltreppe, die zu den belaubten Höhen des Treibhauses emporführte. Als Alice den Laufgang erreicht hatte, der oben um das Gebäude verlief, war ihr heiß und schwindelig, und sie war außer Atem. Sie wischte sich über die Stirn. Die

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