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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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Treppe war gewöhnlich nicht ganz so überwuchert, dachte sie schuldbewusst. Sie hatte wirklich ihre Gärtnerpflichten vernachlässigt. Und sie hatte ihrer Schwester versprochen, sich um den Ort zu kümmern. Lilian wäre enttäuscht gewesen, wenn sie davon gewusst hätte.
    Alice hielt die Lampe hoch. Der Laufgang war vor lauter Blätterwerk beinahe unpassierbar, und die Pflanzen waren kurz davor, durch die gläserne Decke zu brechen. Hier und dort hatte eine knotige grüne Blätterfaust tatsächlich schon Sprünge in einer Scheibe hinterlassen, auch wenn Alice keine entdecken konnte, die bereits zerborsten war. Schnell hackte sie sich einen Weg durch das Gewirr aus Stängeln und Kletterpflanzen und schleuderte abgetrennte Blätter und Äste hinunter in die Dunkelheit. Doch es war eine Schinderei, und schon bald keuchte sie vor Anstrengung. Salzige Flecke erschienen unter ihren Armen und an Rücken und Vorderseite ihres Kleides. Als sie sich einen Schnurrbart aus Feuchtigkeit von der Oberlippe wischte, erblickte sie im Lampenschein ihr Spiegelbild in der soeben freigelegten Glaswand des Wintergartens – Augen mit dunklen Ringen starrten aus einem blassen Gesicht hervor, das vor Schweiß glänzte. Sie lachte. Was Mrs Cattermole wohl jetzt über ihren Teint sagen würde, fragte sie sich.
    Erneut schwang sie die Machete.
    »Ich dachte mir schon, dass ich Sie hier antreffe«, sagte eine Stimme.
    Alice zuckte zusammen, und das Messer entglitt ihrer Hand. Sie hörte ein entferntes »Klonk«, als es sich weit unten in einen der Tische ihrer Tanten bohrte. »Woher haben Sie gewusst, dass ich hier sein würde?«, sagte sie.
    »Es ist Ihr Lieblingsplatz.«
    »Eigentlich mag ich den Wintergarten am liebsten.«
    »Das glaube ich Ihnen nicht.«
    Alice wischte sich über die Stirn. »Ich muss schrecklich aussehen«, murmelte sie. »Was machen Sie hier?«
    »Ich wollte sichergehen, dass Ihnen nicht unwohl ist.«
    »Mir fehlt nichts. Ich habe lediglich eine Schnittwunde am Kopf.«
    »Trotzdem …«
    »Und ich habe Ihnen nicht meine botanischen Fotografien gezeigt. Haben Sie meine Sachen durchgesehen?«
    »Sie waren im Wintergarten«, sagte er. »Sie haben eine Mappe unter der Bank zurückgelassen. Natürlich habe ich sie mir angesehen. Sie würden in meine schauen, wenn Sie sie fänden, oder etwa nicht?« Alice sagte nichts. Das ständige Tropf … Tropf … Tropf … von Wasser irgendwo im Blätterwerk maß die Sekunden des Schweigens. Mr Blake seufzte. »Sluce hat mir erzählt, dass Sie meinen Schrankkoffer gefunden hatten.«
    »Das stimmt, ja.«
    »Und es ist Ihnen nicht eingefallen, es zu erwähnen?«
    »Ich wollte es tun.«
    »Aha. Und Sie … Sie haben vermutlich hineingesehen?«
    »Das habe ich.«
    Wieder wartete er. Ein Schweißtropfen rann seitlich an seinem Gesicht hinab. Achtzehn Meter unter ihnen pochten die Heißwasserrohre rhythmisch unter ihren Eisengittern. Alice hob ihre Lampe, sodass ihrer beider Gesichter voll angestrahlt waren. Ihr fiel auf, dass der Fotograf blass aussah.
    »Die einzigen Geheimnisse in diesem Haus, Mr Blake, sind diejenigen, die ich hüte«, sagte sie einen Moment später. »Sie fragen sich wahrscheinlich, ob ich die Fotografien entdeckt habe, die Sie unter dem Stoff im Deckel Ihres Schrankkoffers versteckt haben. Außerdem werden Sie sich vielleicht fragen, ob mir Ihre Beziehung zu Mrs Cattermole unbekannt ist. Und vielleicht halten Sie mich für zu naiv und unerfahren, als dass ich die Verwendung von Äther als Rauschmittel ganz verstünde?«
    Mr Blake blinzelte im Lampenschein, während er sie überrascht anstarrte. »Vielleicht sollten wir in den Wintergarten gehen und uns unterhalten«, sagte er nach einer Weile. »Hier oben ist es so schrecklich warm. Ich hätte gern Gelegenheit, mich vor Ihnen zu rechtfertigen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn Sie schlecht von mir dächten.«
     
    »Gestatten Sie mir zu erklären«, sagte der Fotograf, sobald sich die Türen des Wintergartens hinter ihnen geschlossen hatten. »Es ist im Grunde ganz einfach. Diese Fotografien – ich hatte nichts damit zu tun. Das heißt … ich meine … sie gehören mir nicht. Sie gehören Dr. Cattermole. Er hat sie mir gegeben. Er schien zu glauben, dass Ihr Vater … als aufgeschlossener Mann … ein Mann, der immer bereit ist, dem Ungewöhnlichen die Stirn zu bieten, Risiken einzugehen, dass er … sie zu schätzen wüsste. Dr. Cattermole ist mit Ihrem Vater befreundet – und mit mir –, er hat mir schließlich

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