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Handbuch für anständige Mädchen

Handbuch für anständige Mädchen

Titel: Handbuch für anständige Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elaine Di Rollo
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und betrachtete sie anerkennend.
    Alice wandte sich ab.
    Endlich saßen alle. Alice bemerkte interessiert, dass sich Mr Blake emsig um die Bequemlichkeit der Tanten kümmerte, um alles bis auf die kürzesten Wortwechsel mit Mrs Cattermole zu vermeiden. Er hatte es so eingefädelt, dass er zwischen Tante Pendleton und Mrs Talbot der Älteren an der Tafel saß, und damit so weit von der Arztgattin entfernt wie möglich.
    Mrs Cattermole hingegen saß seitlich von Mr Talbot, gegenüber von einer Lampe, und Mr Talbots Augen waren begierig auf ihre goldenen Ringellöckchen und rosafarbenen Wangen gerichtet. Alice fragte sich, ob sie sich vorsätzlich dorthin gesetzt hatte, wohl wissend, dass ihre Reize hell erleuchtet am besten zur Geltung kämen. Das Licht stand ihr zweifellos. Ihre Wangen mit den beiden Grübchen, die Haut flaumig, die Augen von einem hellen Blau. Ihre milchig weißen Schultern – die kunstvoll von der Näherin entblößt waren – fielen schräg ab und verschmolzen mit ihrem Kleid. Sie schenkte Mr Talbot ein kokettes Lächeln und wagte einen ähnlichen Blick die Tafel hinab zu Mr Blake – der ihn verpasste, da er damit beschäftigt war, die Serviette von Mrs Talbot der Älteren unter ihrem Stuhl hervorzuholen.
    Zweifellos war Eliza Cattermole eine schöne Frau, dachte Alice. Kein Wunder, dass Mr Blake sie unwiderstehlich gefunden hatte. Alice warf Dr. Cattermole einen Blick zu und fragte sich, wie er auf die offensichtliche Lüsternheit ihres Vaters reagieren würde, musste jedoch zu ihrem Unbehagen feststellen, dass der Arzt sie direkt anstarrte, das Gesicht zu einem matten Lächeln verzogen. Alice erwiderte seinen starrenden Blick, das Lächeln allerdings nicht. Ihr war ein wenig übel, und sie schob das Essen auf dem Teller hin und her, darüber nachgrübelnd, warum sie nicht auf ihrem Zimmer geblieben war.
    »Bereitet Ihnen Ihre neue Aufgabe Freude, Mr Blake?«, fragte Mrs Cattermole. Sie musste den Tisch hinunter rufen. Doch ihre Stimme war träge, bedächtig, voll einstudierter Langeweile.
    »Sie ist sehr interessant«, sagte Mr Blake, der kaum den Blick von seinem Roastbeef hob. »Die Mannigfaltigkeit der Artefakte hier ist geradezu verblüffend.«
    »Interessanter als Körperteile?« Mrs Cattermoles Finger spielten neckisch mit einer Locke ihres goldenen Haars. »Sicherlich nicht.«
    Mr Blake schluckte.
    »Natürlich ist sie das!«, rief Mr Talbot, bevor der Fotograf antworten konnte. »Die Sammlung ist faszinierend, beeindruckend und lehrreich. Sie muss besser sein als der Inhalt einer Leichenhalle.«
    »Aber es gibt doch wohl gewisse Aspekte Ihrer Aktivitäten in London, die Sie nur zu gern wieder aufnähmen, Mr Blake?«, murmelte Mrs Cattermole.
    Mr Blake warf Alice einen Blick zu, doch sie schien ganz davon in Anspruch genommen zu sein, Tante Stathams Wasserglas nachzufüllen.
    »Selbstverständlich ist Miss Talbot selbst Fotografin. Sie hilft Ihnen zweifellos«, sagte Dr. Cattermole.
    »Wir müssen doch eine Verwendung für sie finden, Sir«, rief Mr Talbot. »Genauso gut kann sie dem Knaben zur Hand gehen. Schließlich ist sie sehr gut informiert, ist überaus tüchtig und hat natürlich sonst nichts zu tun.« Er zwinkerte Mrs Cattermole zu. »Selbstverständlich versteckt man ein Gesicht, das so reizend wie das Ihre ist, meine Liebe, nicht in der Dunkelkammer.«
    »Oh, in der Tat«, sagte Mrs Cattermole. »All diese schrecklichen Gerüche. Sie machen, dass man sich einer Ohnmacht nahe fühlt. Geht es Ihnen nicht so, Mr Blake? Sie haben immer gesagt, in der Dunkelkammer gerieten Sie völlig … außer Atem.«
    Mr Blakes Gesicht färbte sich rosa.
    »Ich vermute, Miss Talbot findet es höchst bedrückend«, fuhr Mrs Cattermole fort. »Ihr Teint zeigt es – sie ist derart blass.«
    »Sie ist immer blass«, sagte Mr Talbot.
    »Miss Talbot ist eine sehr talentierte Fotografin«, unterbrach Mr Blake ihn lautstark. »Eine der vollendetsten, der ich jemals begegnet bin. Ihre botanischen Fotografien sind besonders beeindruckend. Sie hat sich der Kalotypie-Methode bedient. Die ist viel langsamer als Kollodium, aber das Bildnis ist schärfer, das Detail fester umrissen.«
    Alice sagte nichts. Sie konnte sich nicht entsinnen, ihm ihre Fotografien gezeigt zu haben.
    »Die Maus da hat die Nummer einundzwanzig auf dem Rücken«, stellte Tante Rushton-Bell fest.
    »Wo?«, rief Mr Talbot, der aufsprang. »Nummer einundzwanzig, sagst du?« Er stürzte auf die Vorhänge zu. Auf halber Höhe erklomm

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