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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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rollte über den Boden davon, an einen Ort, an dem er sie nicht mehr erreichen konnte. Er brauchte sie beide, doch er konnte einfach nicht dorthin und sie holen. Immer noch konnte er sich nur deshalb aufrecht halten, weil Edward Moore ihn stützte.
    Tote soll man nicht wecken
, hatte die Nachricht im Speiseaufzug gelautet. Die Goldfüllung blinkte im Mund des ältesten Mordopfers der Welt, und Unwin hatte den starken Eindruck, der Leichnam mache sich insgeheim über ihn lustig. Das alles hatte Auswirkungen, die bis tief in die Archive der Agentur reichten, bis ganz nach unten zu Unwins eigenen Akten. Während es ihm bewusst wurde, sprach er es schon laut aus: «Das älteste Mordopfer der Welt ist eine Fälschung.»
    «Nein», sagte Moore. «Das älteste Mordopfer gibt es wirklich. Aber es liegt nicht hier in diesem Museum.»
    Vom Ende des Saales kamen Schritte, und Unwin und Moore drehten sich um. Der Mann mit dem blonden Spitzbart stand in der Tür, seine Reiseschreibmaschine in der Hand.
    «Wir müssen weiter», flüsterte Moore. «Ich hab den Mann noch nie gesehen, aber irgendwie gefällt er mir nicht.»
    Jetzt hatte sich Unwin wieder gefasst. «Er war doch vor nicht einmal zehn Minuten im Café», sagte er.
    «Keine Zeit für Diskussionen», meinte Moore. Er hob Unwins Schirm auf und drückte ihn ihm in die Hand. Sie verließen den Saal auf dem gleichen Weg wie die Schulkinder, durch einen Türbogen und einen schummrig beleuchteten Gang zwischen den Ausstellungsräumen.
    «Bitte verstehen Sie doch», sagte Moore. «Ich habe mich sehr bemüht, die ganze Sache zu vergessen. Und hatte damit vielleicht auch oft schon Erfolg. Aber jeden Tag ist da wieder der Zahn, die Füllung. Und diese Frau, die darauf besteht, dass ich ihn sehe. Das bohrt sich regelrecht ins Gehirn. Könnte ebenso gut sein, dass ich mir diese Füllung nur einbilde. Zu viel über etwas zu wissen, ist gefährlich für mich. Ich brauche Sie, damit Sie Ihren Fehler beheben.»
    «Meinen Fehler?»
    «Ja. Eigentlich wollte ich gar nicht derjenige sein, der Ihnen die schlechte Nachricht überbringt, Detektiv Sivart. Aber die Leiche, die Sie an dem Abend, als Sie zum ersten Mal Enoch Hoffmann gegenüberstanden, von der
Wonderly
holten – das war die falsche Leiche. Eine Attrappe.» Moore sah traurig aus, als er das sagte. Er atmete pfeifend durch den buschigen Backenbart. «Er hat Sie ausgetrickst, Herr Detektiv. Er hat Sie ausgetrickst, damit Sie ihm helfen, einen Toten dort zu verstecken, wo ihn jeder sehen kann.»
    «Wessen Leiche?»
    «Entweder habe ich das nie gewusst, oder …»
    «Oder Sie haben es bewusst vergessen», sagte Unwin.
    Es schien Moore zu überraschen, dass Unwin seinenSatz für ihn zu Ende gesprochen hatte, aber er nahm ihn kommentarlos am Arm und führte ihn vom Korridor weg. Sie kamen durch Säle voll mit mittelalterlichen Gemälden. Ritter, Hofdamen und Prinzen schauten sie finster aus ihren vergoldeten Rahmen an. Dann ein erleuchteter Raum: Tonscherben auf Marmorsäulen, Urnen von monströsen Ausmaßen, Miniaturen längst versunkener Städte. Moore ging schneller und schneller und zog Unwin mit sich, während ihnen der Mann mit dem blonden Spitzbart folgte. In einem Skulpturensaal schlossen sie mit den Schulkindern auf. Es handelte sich um Darstellungen von Männern mit Elefantenköpfen, weise und gutmütige Götter eines fremden Landes, die man in einem einzigen schummrigen und schmalen Ausstellungsraum zusammengepfercht hatte. Im Dunkel schimmerten Edelsteine auf, und die Luft war drückend und warm.
    «Nicht mein Fehler», sagte Unwin schließlich.
    Moore starrte ihn an. «Wessen denn?»
    «Sie haben Sivart vor einer Woche angerufen. Sie müssen sich mit ihm getroffen und es wieder vergessen haben. Sie haben ihm gezeigt, was Sie mir gezeigt haben. Was hat er getan, nachdem Sie es ihm gezeigt haben? Sie müssen sich erinnern. Sie müssen mir sagen, wohin er ging.»
    «Aber wenn Sie nicht Sivart sind, wer sind Sie dann?»
    Jene eigentümlichen, elefantenköpfigen Götter schlugen Unwin mit ihren teilnahmslosen Augen in den Bann, und er brachte kein Wort heraus.
Ich bin Sivarts Schreiber
, wollte er sagen.
Ich bin derjenige, der die Einzelheiten seines trügerischen Triumphs zu Papier gebracht hat. Es ist mein Fehler, meiner!
    Doch sie würden ihn niedertrampeln, wenn sie das hörten, diese Elefantenmenschen würden ihn mit ihren juwelenbesetzten Stoßzähnen durchbohren, ihn mit ihrenRüsseln erwürgen.
Erinnere dich
, sagten sie

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