Handbuch für Detektive - Roman
dem
Handbuch
gelesen hatte, alles, was an diesem Tag geschehen war. Stattdessen riss er dem Mann, ohne lange nachzudenken, den Hörer aus der Hand und hielt ihn sich selbst ans Ohr. Er zitterte immer noch, doch seine Stimme klang ruhig, als er sagte: «Jetzt hören Sie mir mal zu. Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber ich wüsste es sehr zu schätzen, wenn Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten. Was geht es Sie denn überhaupt an, was ich mache?»
Es kam keine Antwort. Unwin hielt sich den Hörer ans Ohr, und dann hörte er etwas, ein Geräusch, das so leise war, dass es kaum vom Rauschen in der Leitung zu unterscheiden war. Es war das Rascheln trockener Blätter oder von Papier vielleicht, in das ein leichter Windstoß fuhr. Und da war noch etwas anderes – ein trauriges Gurren, das kam und ging, während er lauschte. Das Rucken vieler Tauben, dachte er.
Er legte den Hörer auf die Gabel. Der Mann mit dem blonden Bart starrte ihn an. Seine Kinnlade bewegte sich auf und ab, aber er gab keinen Laut von sich. Einen Moment lang begegnete Unwin seinem Blick, dann kehrte er zum Tisch zurück, setzte sich und begann hastig sein Sandwich zu verzehren.
Einer der Männer am Tresen stand von seinem Hocker auf. Er trug die schlichte graue Uniform eines Museumswärters. Sein weißes Haar war dünn und ungekämmt, und seine dunklen Augen lagen tief in seinem bleichen Gesicht. Er schlurfte auf Unwin zu, wobei er laut zwischen seinem Backenbart hervorschnaubte und die Papierserviette in seinerrechten Hand zerknüllte. Er baute sich vor dem Tisch auf und warf die Serviette in Unwins Hut. «Tut mir leid», zischte er. «Ich hab Ihren Hut mit einem Papierkorb verwechselt.»
Der Mann mit dem blonden Bart war wieder am Telefon. «Er hat seinen Hut mit einem Papierkorb verwechselt», sagte er. Doch als der Museumswärter das Café verließ, stieß er gegen den Tisch, an dem der Mann mit dem blonden Spitzbart gesessen hatte. Ein Glas fiel um und ergoss seinen Inhalt über das Papier, das gestapelt neben der Schreibmaschine lag. Der Mann mit dem blonden Bart ließ den Hörer fallen und kam, leise vor sich hin fluchend, herübergelaufen.
Unwin nahm die Serviette aus seinem Hut; darauf stand etwas in blauer Tinte. Er nahm das Papierknäuel auseinander und las die hastig hingekritzelte Nachricht.
Nicht sicher hier. Folgen Sie mir, solange er abgelenkt ist.
Er stopfte sich die Serviette in die Tasche, sammelte seine Sachen ein und ging. Der Mann mit dem blonden Spitzbart war zu sehr damit beschäftigt, seine nassen Papiere auszuschütteln, um sein Gehen zu bemerken.
Der Museumswärter packte Unwin am Arm und führte ihn in nördlicher Richtung zum ersten Ausstellungsraum des Museums. Auf seiner Anstecknadel stand der Name «Edwin Moore». Er beugte sich zu ihm hinüber und sprach Unwin ins Ohr. «Wir müssen aufpassen, was wir sagen. Sie besonders. Für alles, was Sie mir erzählen, werde ich vor dem Schlafengehen kostbare Minuten aufwenden, um es wieder zu vergessen. Bitte entschuldigen Sie, dass ich so lange gewartet habe, bis ich eingegriffen habe. Bevor ich Sie reden hörte, habe ich gedacht, Sie seien einer von denen.»
«Einer von wem?»
Moore schnaufte sorgenvoll durch seinen Backenbart. «Das kann ich nicht beantworten. Entweder weiß ich es gar nicht, oder ich habe es absichtlich vergessen.»
Ihr Weg führte sie durch die Säle mit Kriegskunst, wo leere Kettenhemden wie Geisterreiter auf Pferdepanzern ohne Pferde saßen. In den Vitrinen schimmerten goldene und silberne Waffen, und Unwin kannte sie alle; er kannte die schmalklingige Miséricorde, den anmutigen Stoßdegen, die doppelläufige Radschlosspistole. Sie alle wurden im Waffenindex der Agentur aufgeführt, obwohl die Seiten, die solch antiquierten Waffen gewidmet waren, meist weniger hilfreich waren als diejenigen, die sich mit den populäreren Gerätschaften heutiger Zeit befassten: der Pistole, der Garrotte, der gusseisernen Bratpfanne.
Während er sprach, sah Moore in Unwins Richtung, wich seinem Blick jedoch aus. «Ich bin schon seit dreizehn Jahren, elf Monaten und einigen Tagen Angestellter des Stadtmuseums», sagte er. «Stets bin ich die gleichen Wege durch diese Korridore gegangen und nur dann vom Kurs abgewichen, wenn es unbedingt nötig war, zum Beispiel wenn sich ein Kind verirrt hatte und meine Hilfe brauchte. Ich mag es, in Bewegung zu bleiben. Natürlich nicht, um mir die Gemälde anzuschauen. Die sehe ich nach all den Jahren gar nicht
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