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Handbuch für Detektive - Roman

Handbuch für Detektive - Roman

Titel: Handbuch für Detektive - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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groß, wie eine titanische Schmiedin an ihrer höllischen Esse.
    Unwin wusste, dass das die Hauptschreiberin Miss Palsgrave war. Der rosa Stuhl konnte nur der ihre sein.
    Als das Bild vor seinen Augen wieder verblasst war, war das Lied auf dem Grammophon zu Ende gegangen. Die Nadel landete auf der Auslaufspur, der Plattenarm hob sich, und die Platte hörte auf sich zu drehen.
    Die Dunkelheit schien ihm nicht mehr so niederdrückend und auch Miss Palsgraves riesenhafter Stuhl wirkte nicht mehr so beängstigend. Viel schlimmer war der Gedanke, dass Miss Palsgrave selbst sich nähern könnte, um eine neue Platte aufzulegen.
    Er zog sich tiefer in die Dunkelheit zurück, und die Luft wurde wärmer, je weiter er kam. Es lag ein muffiger Brandgeruch in der Luft wie von einer elektrischen Entladung oder dem Atem von Menschen, die viel zu lange geschlafen haben. Von überall her kam Hüsteln, Rascheln, seltsames Gemurmel. Unwin war nicht allein. Aber wussten die, die diese Geräusche machten, dass er unter ihnen war?
    Etwas verfing sich an seinem Fuß und brachte ihn beinahe zu Fall. Er kniete sich hin und bekam eine mit Gummi verkleidete Schnur zu fassen, die sich über den ganzen Bodenerstreckte. Er folgte ihr bis zu einem Tischbein. Der Tisch war kniehoch, und eine Lampe stand darauf. Er tastete nach dem Lichtschalter und knipste sie an.
    Die Birne unter dem Schirm warf ein mattes gelbes Licht auf ein niedriges schmales Bett. Darin lag ein Unterschreiber – er trug einen unmodischen grauen Anzug und hatte sich seine Melone auf die Brust gelegt. Das Bettzeug war trist und olivfarben, doch der Unterschreiber lag eher auf den Decken als darunter. Sein kleiner Schnurrbart zitterte, wenn er mit einem leisen Pfeifen ausatmete, und seine Füße waren nackt. Auf dem Boden neben dem Bett standen ein Paar flauschige braune Pantoffeln wie zwei Plüschhasen.
    Eine kleine Maschine surrte leise auf dem Tisch neben der Lampe. Es war ein Grammophon, wenngleich von einer schlichteren, pragmatischeren Bauweise als das, was in der Mitte des Archivs stand. Eine geisterhaft weiße Schallplatte, genau wie die, die Unwin in Lamechs Büro gefunden hatte, drehte sich unter der Nadel. Das Grammophon erzeugte keinen Ton; es hatte keinen Lautsprecher. Stattdessen war es mit wuchtigen Kopfhörern ausgestattet, die der schlafende Unterschreiber aufgesetzt hatte.
    Daneben waren andere Betten, wie die Schreibtische im vierzehnten Stockwerk, in drei langen Reihen angeordnet. In jedem lag ein schlafender Unterschreiber. Einige von ihnen benutzten ihre Decken, andere nicht. Manche schliefen in ihren Anzügen, andere im Pyjama, wieder andere trugen schwarze Schlafmasken. Alle hatten die gleichen Kopfhörer auf, die in leise vor sich hin summende Grammophone gestöpselt waren.
    Unwin beugte sich tief über den Kopf des Unterschreibers, lüpfte vorsichtig den Kopfhörer und lauschte. Alles, was er hören konnte, war statisches Rauschen, aber es war einRauschen mit einem komplexen Muster, das sich in Wellen hob und senkte, das anbrandete, sich brach, zurückwich. Irgendwann wurden auch andere Geräusche erkennbar. Er hörte gedämpftes Hupen, wie Verkehrsrauschen, ein paar Blocks entfernt, oder wie das Kreischen von Möwen, die überm Meer kreisen. Er hörte Tiere, die aus den Tiefen jenes Meeres brüllten, und kleinere Kreaturen, die mit einem leisen Rascheln über den sandigen Meeresboden husch ten. Und er hörte, wie jemand in einem Buch blätterte.
    Der Unterschreiber öffnete die Augen und schaute ihn an. «Die haben Unterstützung geschickt, stimmt’s? Kommt keinen Moment zu früh.»
    Unwin ließ den Kopfhörer los und richtete sich kerzengerade auf.
    Dem Unterschreiber fielen die Augen wieder zu, und einen Moment hatte es den Anschein, als würde er wieder einschlafen, doch dann schüttelte er den Kopf und nahm die Kopfhörer ab. «Das hat es noch nie gegeben», sagte er. «Wie spät ist es denn, zwei Uhr nachmittags? Und die schicken immer noch neue Aufnahmen.»
    Er setzte sich auf und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. «Es ist so, als würde niemand aufwachen. Aber den Subjekten fehlt jegliche Vorstellung von Strafbarkeit, und die Darstellungen sind viel zu lebhaft, um künstlich hergestellt zu sein. Und dann ist da noch die kleinere Gruppe, in der alle den gleichen Bildervorrat teilen – eine ganze Untermenge mit immergleichen eidetischen Repräsentationen, und ohnehin ist das Ganze eine typische Jugendphantasie.» Er hob den Tonarm

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