Handbuch für Detektive - Roman
erhaben waren. Doch genau das war sein Fehler gewesen – dass er all die rätselhaften Fälle so bündig auf den Punkt gebracht und all die Fehltritte seines Detektivs durch makellose Akten verbrämthatte. Irgendwie hatte Unwin es geschafft, Falsches richtigzustellen.
Endlich stießen seine Hände auf etwas Festes. Er tastete sich an der Wand entlang, fand die kühle, runde Kontur eines Türknaufs und darunter die kleine Öffnung eines Schlüssellochs. Er ging in die Knie und schaute hindurch.
In der Mitte eines großen, dunklen Raumes standen zwei Samtstühle auf einem runden blauen Teppich. Dazwischen war eine Stehlampe mit blauem Schirm aufgestellt, deren Lichtkegel auf ein Grammophon fiel. Streicher und Hörner spielten träge ein Musikstück, und dann begann eine Frau zu singen. Er kannte die Melodie.
Auch wenn es ein Verbrechen ist
,
so weiß ich doch, dass du der meine bist
,
in meinem Traum von deinem Traum von mir.
Der Türknauf drehte sich in seiner Hand, und Unwin trat in das dritte Archiv der Agentur.
Die verschlüsselte Nachricht an sich ist etwas Lebloses wie eine Mumie, die längst bestattet ist. Wer sie entschlüsseln will, dem sei der gleiche Rat gegeben, den man auch dem Grabräuber, dem Höhlenforscher und dem Mythenfex geben möchte: Pass auf, was du da ausgräbst; du hast es dann am Hals.
Ein Abstand von vielleicht fünfzig Schritten trennte ihn von den Stühlen, der eine war rosa, der andere blassgrün. Unwin fühlte sich von der Wärme des elektrischen Lichts, von der trägen Musik, die dort lief und von der Stimme, bei der es sich nur um die von Miss Greenwood handeln konnte, wie magisch angezogen. Auf ihn wirkte es so, als hätte jemand mitten in einer finsteren Höhle einen gemütlichen Salon eingerichtet. Er ging darauf zu, fühlte sich dabei einsam und unwirklich. Er konnte weder seine Arme noch seine Beine sehen, auch seine eigenen Schuhe nicht. Alles, was er erkennen konnte, waren die Stühle, die Lampe und das Grammophon. Und alles, was er hörte, war die Musik.
Der Boden war glatt und eben. Ein Boden, der seine Schuhe ansonsten bestimmt wieder zum Quietschen gebracht hätte, doch seine Schritte klangen gedämpft – durch die Dunkelheit selbst, dachte Unwin. Er hielt seinen Mundfest geschlossen, damit nichts von der Finsternis eindringen konnte.
Am Rand des blauen Teppichs blieb er stehen und stand mucksmäuschenstill da. Hier lag die Grenze zwischen den Welten. In der einen Welt gab es Stühle und Musik und Licht, in der anderen nichts dergleichen, nicht einmal die Worte für Stuhl, Musik oder Licht.
Er überschritt diese Grenze nicht, sondern beobachtete sie nur aus seinem wortlosen Dunkel heraus. In einem Schränkchen neben dem grünen Sessel stapelten sich Grammophonplatten, obendrauf stand eine Reihe Bücher. Eines der Bücher sah genauso aus wie der rote Band, den Miss Burgrave aus dem Geheimfach in ihrem Büro geholt hatte. Doch alles in dem Salon wirkte winzig angesichts des rosa Sessels. Er war fast drei Mal so groß wie der grüne. Es war das unheimlichste Möbelstück, das Unwin je gesehen hatte. Darauf zu sitzen konnte er sich gar nicht vorstellen. Ebenso wenig wie auf dem Sessel gegenüber.
Er trat einen Schritt zurück. Der Stuhl würde ihn anspringen, wenn er ihm die Gelegenheit dazu gab, würde ihn mit Haut und Haaren verschlingen. Hätte er ihn doch bloß mit Namen ansprechen können, dachte er, dann wäre er vielleicht zu zähmen gewesen. Oder er hätte, wenn er Edwin Moore nicht seinen Schirm überlassen hätte, ihn jetzt aufspannen und sich damit vor dem Anblick des Stuhles schützen können.
Aus den hintersten Winkeln des Raumes kam ein Lichtblitz, hell und kurz wie das Sterben eines winzigen Gestirns, und in dem Moment, bevor das Licht wieder verglühte, sah Unwin die Wände in diesem Bereich des Archivs – sah, dass sie vollgestellt waren, doch nicht etwa mit Hängedateien, sondern mit Regalen voller Grammophonschallplatten. DieLichtquelle war eine riesige Maschine, ein Labyrinth aus Ventilen, Rohren und Kolben. Sie zischte und spuckte Dampf in die Luft und erinnerte mehr als an irgendetwas anderes an ein überdimensionales Waffeleisen. Das Licht ergoss sich durch einen Spalt zwischen zwei großen Platten, die von der Person, die die Maschine bediente, einer Frau, zusammengepresst wurden. Sie hatte breite Schultern und dicke Unterarme, und wirkte, auch wenn es vielleicht nur ein Lichteffekt oder eine optische Täuschung war, ungeheuerlich
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