Handyman Jack 07 - Todessumpf
Sie schnappte sich die Muschelhälften und legte sie sich selbst auf die Augen.
»Was hat es überhaupt mit diesen Dingern auf sich?«
O nein! Sie würde alles sehen! Sie würde Bescheid wissen!
Aber Suzie hatte offenbar gar nichts gesehen. Mit einem verächtlichen Laut schleuderte sie die Muscheln in die Brandung.
Voller Angst, dass sie aufs Meer hinausgespült werden könnten, schrie Semelee auf und rannte hinunter zum Wasser. Sie fand auch zwei Schalen, von denen sie annahm, es seien ihre – die Hälften stammten von Süßwassermuscheln –, aber sie war sich nicht sicher. Während Suzie unter spöttischem Gelächter den Strand hinaufging, hätte Semelee sie am liebsten erwürgt, aber sie konnte sie nicht verfolgen, jedenfalls nicht, bevor sie sich vergewissert hatte, ob es auch die richtigen Muschelschalen waren … und ob sie noch funktionierten …
Sie taten es. Gleich legte sie sie auf, und da war sie wieder, hoch über dem Strand fliegend und auf Suzie hinabblickend, die zu ihrem Wagen ging. Dieses Biest!
Plötzlich stürzte sie auf Suzie hinab, den Schnabel offen, laut kreischend. Sie bohrte sich in ihren Nacken und ließ das Biest taumeln. Und dann hackte sie auf ihren Schädel ein, zerfetzte die Kopfhaut und riss ihr büschelweise die verdammten blonden Haare aus.
Semelee war derart überrascht, dass sie die Muscheln fallen ließ. Da war sie wieder sie selbst, beobachtete, wie die schreiende Möwe von Suzies Kopf abließ und davonflatterte, während Suzie kreischend und schluchzend zu ihrem Wagen rannte. In diesem Moment traf Semelee die Wahrheit wie ein Faustschlag zwischen die Augen: Sie konnte sich nicht nur in irgendwelche Dinge hineinversetzen und durch deren Augen sehen, sie konnte sie auch steuern und sie das tun lassen, was sie, Semelee, wollte!
Dieses aufregende Gefühl der Macht durchströmte sie. Sie war nicht nur ein kleines bisschen anders, sie war wirklich anders.
Aber besaß sie ihre besonderen Fähigkeiten auch mit nur einer Muschelhälfte?
Sie hielt sich das linke Auge mit einer Hand zu und bündelte ihren gesamten Willen und ihre Konzentration und lenkte beides auf ihr rechtes Auge. Ein Bild entstand. Ein Grashalm, verdorrt und braun, tauchte riesengroß wie ein Baumstamm in ihrem Blickfeld auf.
»Ich bin da!«, rief sie. »Eine habe ich. Jetzt muss ich noch eine weitere kriegen.«
Und danach eine dritte und eine vierte und eine fünfte …
Das würde Zeit brauchen und Mühe. Sehr viel Mühe.
»Ich muss mich im Haus des alten Mannes umsehen und versuchen, irgendwie hineinzugelangen.«
»Meinst du, er hat die Muschel?«
»Keine Ahnung. Aber ich werde alles tun, um das in Erfahrung zu bringen.«
»Und wenn du sie hast, was dann?«
»So weit sind wir noch nicht, Luke. Wenn es so weit ist, dann lassen wir uns was einfallen.«
Und vielleicht sehe ich mir in der Zwischenzeit an, wie es im Innern dieses Typen aussieht, dachte sie. Ob er es überhaupt wert ist.
11
Jack hatte den Eindruck, dass sich alles um ihn drehte. Nicht vom Wein, den er getrunken hatte, sondern von dem verdammten Spiel, das er zu erlernen versuchte.
Er hatte den späten Nachmittag zusammen mit Anya – und Oyv, natürlich – im Krankenzimmer seines Vaters verbracht. Dads Zustand war unverändert – noch immer lediglich einige ziellose, unwillkürliche Bewegungen und unverständliche Laute. Er hatte gehofft, Dr. Huerta anzutreffen und sich erkundigen zu können, ob sich Dr. Harris bei ihr gemeldet hatte. Er dachte, vielleicht könne er sie dazu bringen, ihm zu verraten, was der Arzt über die gesundheitliche Verfassung seines Vaters vor dem Unfall wusste.
Doch die Ärztin ließ sich nicht blicken, und am Ende fuhr er mit Anya und Oyv nach Gateways zurück. Sie beharrte auf ihrer Einladung auf einen Drink, daher begab er sich, nachdem er geduscht und anschließend Gia angerufen hatte, um sich zu versichern, dass sie, Vicky und das Baby wohlauf waren, nach nebenan.
Er traf Anya auf dem Rasen vor ihrem Haus, die Zigarette in einer Hand, ein Weinglas in der anderen. Sie hatte es sich auf einer Campingliege, neben der eine Anderthalbliterflasche Rotwein in einem Eiskübel stand, gemütlich gemacht. Sie trug eine Sonnenbrille mit großen Gläsern und türkisfarbenem Gestell. Ihre flachen Brüste steckten in einem pinkfarbenen Bikinioberteil, zu dem sie eine knappe schwarze Shorts angezogen hatte. Die freiliegenden Flächen ihrer faltigen, lederartigen Haut hatte sie mit irgendeinem Sonnenöl
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