Handzahm
Auge auf. Alle sagten, sie solle ihn vergessen, aber das war nicht so einfach, weil die Erinnerung an den Sex in seinem Pavillon einfach nicht verblassen wollte.
Sogar er selbst hatte sie abschrecken wollen. Er hatte sich entzaubert, indem er seine wahre Identität preisgegeben hatte. Somit war er nicht länger der geheimnisvolle Unbekannte, der Meister der Meister, sondern ein Mann aus Fleisch und Blut, mit einem Job, mit ganz alltäglichen Problemen ... mit einer Familie?
Cassy seufzte. Sie hörte auf in ihr Ringheft zu kritzeln und schaute aus dem Fenster. Dicke Regentropfen kündigten den Herbst an. Sie prasselten gegen die Fensterscheibe des Hörsaals und liefen in Schlieren herab. Die Temperaturen waren über Nacht gefallen und der erste Oktober zeigte sich von seiner unfreundlichen Seite.
Das Wetter war genauso trübe, wie Cassy sich fühlte.
«Na, du bist ja bei der Sache.» Ihre Freundin Penelope, die alle nur Pen nannten, stupste sie sanft an. «Presserecht ist langweilig, aber wichtig, Darling. Also, hör besser zu.»
Penelope Townsend war keine Schönheit, aber sie war eine pfiffige Brünette mit viel Charme und Wärme. Zurzeit trug sie ihre Haare glatt und schulterlang mit einem Fransenpony. Ihre Nase fiel jedem, der sie kennenlernte, als Erstes auf, denn sie war groß mit einer auffällig runden Spitze.
«Sie gibt deinem Aussehen etwas Besonderes, sie ist ein Wiedererkennungsmerkmal», hatte Cassy gesagt, als sie sich das erste Mal auf einer Highschool-Party begegnet waren. «Eine richtige Charakternase.»
Pen winkte ab. «Sie ist ein Zinken, gib’s ruhig zu.»
Beide hatten sofort losgeprustet und waren sich lachend in die Arme gefallen. Das war der Beginn einer tollen Freundschaft gewesen, die bis heute hielt. Sie hatten sich sogar für denselben Studiengang entschieden: Journalismus mit anschließendem Aufbaustudium.
«Was soll das denn sein? Ein Pferdeschweif?», fragte Pen und deutete auf die Kritzeleien in Cassys Heft.
Cassandra folgte dem Finger mit ihrem Blick und errötete. Die Kulizeichnung stellte einen immer dicker werdenden Gegenstand dar, aus dem einige Stränge herauswuchsen, die dem Schwanz eines Pferdes ähnelten. Doch sie hatte einen Flogger gemalt, so einen, wie der Lord ... wie Andrew ihn im Pavillon dabeigehabt hatte.
Verschämt lächelnd malte sie über die Zeichnung drüber, bis sie unkenntlich war.
Pen rückte näher an sie heran. «Seit dem Abend, an dem du nicht mit uns Mädels feiern gehen wolltest, bist du verändert. Du hattest wohl etwas Besseres vor. Was hast du in dieser Nacht gemacht?»
«Ich war nur auf einer Party», sagte Cassy beiläufig.
Pen weitete neugierig die Augen. «Mit wem? Hast du einen neuen Kandidaten?»
«Ich habe keinen Freund, es war nicht einmal ein Date. Ich war nur mit Derek aus.»
Enttäuscht lehnte sich Penelope zurück. «Ach so, einer dieser SM-Treffs.»
Pen meinte dies nicht abfällig. Sie selbst konnte mit Lustschmerz und Erniedrigung zwar nichts anfangen, akzeptierte Cassys Neigung jedoch. Allerdings fand sie, dass es an der Zeit war, dass Cassandra sich einen festen Freund suchte und nicht nur eine Spiel-Beziehung mit Derek führte.
Penelope hielt viel von festen Partnerschaften. Sie selbst war seit ihrem 14. Geburtstag mit Curt zusammen, einem gutmütigen Riesen, der vor drei Monaten um ihre Hand angehalten hatte. Zu Cassys Erstaunen hatte ihre Freundin ja gesagt. Sie ahnte, dass Pen bald heiraten und Kinder kriegen würde, das passte einfach zu ihr.
Cassy dagegen träumte von Schmerz, hemmungslosem Ficken, Erniedrigung und fließenden Säften. Ihre Leidenschaft für BDSM war jung, es gab noch so viel zu entdecken. Bis vor Kurzem hatte sie nicht einmal den Wunsch verspürt, sich an jemanden zu binden.
Aber der Lord hatte ihre Träume verändert. Eine Beziehung mit ihm wäre jedoch nicht mit der von Pen und Curt zu vergleichen. Das Leben der beiden würde sich bald nur darum drehen, ein Haus zu bauen, einen Baum zu pflanzen und einen Sohn zu zeugen, wie ihre Granny Selma immer zu sagen pflegte. Wieder einmal merkte Cassandra, dass sie einfach anders war als die meisten Menschen.
Hoffentlich entzweit uns unsere unterschiedliche Lebensplanung nicht eines Tages, dachte Cassy betrübt.
Pen machte eine besorgte Miene. «Ist etwas auf der Party passiert? Du bist so in dich gekehrt.»
«Nein, es ist alles in Ordnung. Wirklich!», antwortete sie und quälte ein Lächeln hervor.
«Mir machst du nichts vor. Dafür kenne ich dich
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