Hanibal
Britannien.«
Aus dem Schatten des Hauses trat eine schlanke Gestalt und kniete neben Antigonos’ Sessel nieder.
»Vater!« Memnons Augen, die Augen von Isis, flehten. Antigonos verzog den Mund. »Seit wann bist du da? Hast du gelauscht?«
»Eben erst, Vater. Seit du ›Ziegenschänder‹ gesagt hast.« Memnon warf Bostar einen Verschwörerblick zu.
Der Punier zwinkerte. »Kleiner Schuft, du. Und jetzt…?«
»Jetzt will er mitkommen, auf die große Reise«, sagte Antigonos. »Und das kommt natürlich überhaupt nicht in Frage. Mit zwölf Jahren…«
»… ist ein gewisser blöder Hellene, dessen Name nichts zur Sache tut, von seinem Vater nach Alexandreia geschickt worden.«
Antigonos richtete sich auf und starrte Bostar an. »Ah. Ausgerechnet du fällst mir in den Rücken. Pah.«
Bostar grinste. »Bisweilen sollte man greise Freunde daran erinnern, daß sie auch einmal Säuglinge waren.«
Antigonos kratzte sich am Kopf, blickte zwischen Bostar und Memnon hin und her und grinste plötzlich ebenfalls. Er legte die Hand auf den Kopf des knienden Jungen. »Na schön. Wenn Tsuniro nichts dagegen hat.«
Memnon strahlte.
»Und du, Ziegenschänder«, sagte Antigonos, »hast einen Sohn, der nicht so ein punischer Stadthocker werden sollte wie sein Vater.«
Bostar verschluckte sich am Wein, würgte, hustete und setzte den Becher fast neben die Tischkante; Memnon sprang und fing ihn auf.
»Was? Du niederträchtiger, übelriechender, unbeschnittener metökischer…«
Antigonos hob die Hand. »Langsam; verdirb mir nicht diesen meinen reinherzigen Sohn, der derlei furchtbare Ausdrücke nicht kennt.«
Bostar hatte die Augen zusammengekniffen. »Ist das dein Ernst?«
»Mit Bomilkar? Ja. Er hängt doch jeden Tag am Hafen herum und möchte am liebsten jedes Schiff einzeln auseinandernehmen, damit es nicht ohne ihn fährt.«
Bostar seufzte. »Woher hat der Junge das nur? Aber du hast recht. Hm. Das will beredet sein. Mit seiner Mutter, zum Beispiel. Vielleicht wäre es gar nicht schlecht. So eine Reise mit dir und Memnon…«
»Wer reist hier wohin?« Tsuniro erschien auf der Terrasse.
Sie trug einen breiten Stoffstreifen um die Brust und einen kleinen weißen Lendenschurz. Ihre Haut, tiefbraunes Elfenbein, glitzerte von Schweiß und dem Niederschlag verkochter Duftwässer. Sie roch unbeschreiblich.
»Nein«, sagte Antigonos. »Nein, nicht auch noch das.«
Memnon und Bomilkar vertrugen sich bestens; nach zwei Tagen waren sie die tatkräftigsten Mitglieder der Besatzung. Ariston hatte sich zu einem quirligen, unwiderstehlichen Querkopf entwickelt. Der Sechsjährige tyrannisierte das ganze Schiff, und seine Untertanen liebten ihn. Antigonos verbrachte lange Stunden mit dem Jungen, erzählte ihm wilde Geschichten, erfand zusammen mit dem »schwarzen Daimon«, wie Ariston an Bord hieß, neue fantastische Fortsetzungen alter Abenteuererzählungen; zusammen bevölkerten sie den Kosmos mit hellroten Meeresungeheuern, achtköpfigen Drachen, fliegenden Schlangen, riesigen Zwergen und kaum noch sichtbaren Schrumpfnesen. Sie malten und schnitzten, schwammen an flauen Tagen oder ließen sich prustend und quiekend, weniger lautstark begleitet von Tsuniro, Memnon und Bomilkar, bei guter Fahrt an Seilen durchs Wasser schleppen. Tsuniro schien manchmal rastlos und in sich gekehrt, winkte aber bei halb gestellten Fragen ab. Insgesamt war es eine ersprießliche Reise. Auch das Verhältnis zwischen Antigonos und dem zwölfjährigen Memnon, das unter Schwankungen des schnell reifenden Sohns gelitten hatte, wurde wieder besser und fast innig. Antigonos genoß die glühenden Nächte mit Tsuniro, die warmen Tage mit allen und sagte sich, daß er nie so glücklich gewesen war.
Nach den ersten Tagen legte sich die Seekrankheit des Fahrgastes. Anfangs hatte Sosylos mit grünem Gesicht über der Bordwand gehangen oder ächzend und murrend auf einer Pritsche gelegen. Er war zweiundzwanzig, ein Ausbund an Gelehrsamkeit, dabei aber – bis auf seine Seeschwäche – körperlich in bester Verfassung, anders als die meisten Papyrosfresser. Der blonde Spartaner machte aus der Not eine Tugend, indem er seinen flaumigen Bart, der ihm viel Spott eingetragen hatte, einfach rasierte. Das glatte junge Gesicht stand in seltsamem Widerspruch zu den schweren weisen Reden, die er führte, sobald er wieder zusammenhängend sprechen konnte. Auf dem Achterdeck setzten Antigonos, Tsuniro und Mastanabal den Spartaner unter Wein, bis die Gelehrsamkeit
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