Hanibal
Barkas plante. Die Kühnheit und Reichweite des Vorhabens raubte ihm den Atem.
»Noch heute«, sagte Antigonos heiser, »schicke ich Boten. Ich weiß aber nicht, was der König davon halten wird. Alle Verbindungen, alle Kenntnisse, alle Möglichkeiten stehen dir zur Verfügung.«
Hamilkar verneigte sich. »Irgendwann einmal, Tiggo, muß ich mir etwas ausdenken, um dir für all deine Geschenke zu danken. Was den König angeht, der ist alt; sein Sohn spielt mit.« Er lächelte. »Du weißt ja: Es gibt keine nutzlosen Kenntnisse, und auch in den letzten Jahren habe ich meine Kundschafter überall gehabt. Man muß vorbereitet sein…«
Hasdrubal schüttelte den Kopf. »Könntet ihr so gut sein uns zu sagen, worüber ihr redet? Es klingt ja wichtig, aber ich verstehe nichts.«
»Da wir Libyen nicht so einfach nehmen können«, sagte Hamilkar halblaut, »weil zuviel davon den Kornsäcken gehört, müssen wir etwas anderes nehmen. Etwas, das Hanno und seine Leute nicht stört – etwas, das uns stark genug macht, um nicht vor Rom kuschen zu müssen – etwas, das weit weg von Rom ist und den Senat nicht interessiert.«
Sie starrten ihn verwirrt an. »Wovon redest du, Barkas?« sagte Bodbal schließlich.
»Iberien.«
Der Hellene konnte und wollte sie nicht begleiten. Baals Tempel erfüllte ihn mit dumpfer Furcht und scharfer Abneigung, und nur Punier hatten Zutritt. Über die genauen Worte des Eids gab es zahlreiche Vermutungen; Hannibal sagte nichts, Hasdrubal winkte bei Fragen ab, und Hamilkar erklärte lediglich, der Junge habe geschworen, auch in der Ferne Qart Hadasht treu zu sein und niemals ein Freund Roms zu werden.
Tsuniro fand den Schlüssel. »Das ist doch ganz einfach.
Wieso siehst du es nicht?«
Antigonos rollte sich auf die Seite. Das klare Mondlicht am Frühwinterhimmel floß durch das unverhangene Fenster, brachte köstliche Kühle, die den Ruch der Körper und der Liebe fortspülte, und überflutete Tsuniros Schwärze.
»Sag es, Gebieterin meiner Lust – matt bin ich und dumm.« Sie ließ die Zähne blitzen. »Hanno ist Baal-Priester. Hannibal heißt ›Gunst des Baal‹. Der Junge hat also beinahe die Pflicht, wenn überhaupt einen Eid, dann einen in Baals Namen zu schwören. Hanno würde vermutlich lieber alles andere tun, muß aber sein Amt ausüben, auch dem Sohn des Barkas gegenüber. Er wird mit den Zähnen geknirscht haben. Und – du sagst, es waren zwei oder drei wichtige Ratsherren der ›Alten‹ und der Barkiden dabei? Ah, ein kluger Mann, Hamilkar – indem er seinen Sohn diesen Eid schwören läßt, gibt er den Ratsherren gleichzeitig das heilige Versprechen, in Iberien nichts zu tun, was der Stadt schadet.« Sie kicherte. »Und daß Roms Freund Hanno den Eid beaufsichtigt, in dem Hannibal schwört, nie ein Freund Roms zu sein, gefällt mir besonders.«
Tatsächlich schien die Zeremonie im finsteren Baal-Tempel einiges an Widerständen beseitigt zu haben. In den Ratssitzungen der folgenden Tage kamen erstaunliche Beschlüsse zustande. Einige waren Beiträge zur Aussöhnung; so wurden die Tribute der Städte und Dörfer wie auch die Abgaben der libyschen Pächter abgesenkt auf den uralten Zehnten. Ferner durften ab sofort nichtpunische Handelsschiffe nicht nur Qart Hadasht anlaufen, sondern auch andere libyphönikische und punische Häfen.
Der wichtigste Beschluß kam jedoch beinahe einem Umsturz gleich; Hasdrubal setzte ihn durch, und Antigonos fragte sich, ob er zustandegekommen wäre, wenn Hannibal nicht vor Baal in Hannos Anwesenheit seinen Eid geleistet hätte.
Bisher hatte Qart Hadasht in Friedenszeiten nur kleine Truppenverbände unterhalten – eine Art Stadtwache, Garnisonen in Grenzstädten, geringe Schutztruppen für entlegene Handelsstützpunkte. Erst im Kriegsfall wurden größere Mengen Söldner angeworben. Ähnlich stand es mit der Flotte, die im Frieden eben ausreichte, die Meerenge an den Säulen des Melqart und die wichtigsten Häfen zu sichern. Im Frieden unterstanden die Truppen und Schiffe den jeweiligen Ortskommandanten und Großkapitänen, die dem Rat von Qart Hadasht verantwortlich waren. Erst im Kriegsfall wurden mehr Schiffe gebaut, für die Flotte ein Nauarch, für das Land ein Stratege bestimmt – vom Rat beziehungsweise von den Dreißig Ältesten des Rats, der Gerusia.
Alle wußten, daß die auf rücksichtslose Ausdehnung angelehnte römische Raubzugs und Erpressungspolitik eine Fortsetzung der alten Verfahren unmöglich machte. Spätestens der
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