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Hanibal

Hanibal

Titel: Hanibal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisbert Haefs
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unter der nördlichen Säule des Melqart, einem seltsam geformten Kegelberg, wirkte noch verschlafener als Sepqy. Der alte Hafen, ein paar Lagerhäuser und Wohngebäude, dazu Werkstätten und Gärten, mehr war nicht von der alten Bedeutung des Orts geblieben, seit Hamilkar zwei Jahre zuvor das nördlich der Bucht gelegene iberische Fischerdorf Eya zur Stadt Qart Eya und zur Festung hatte ausbauen lassen.
    Der starke Westwind flaute in der Nacht ab. Mastanabal und sein Steuermann Baqranis, ein ruhiger Libyphöniker aus Ityke, wurden gleichzeitig wach, weckten die übrigen und ließen das Schiff um das Vorgebirge rudern. In der Meerenge, lange vor Erreichen des südlichsten Punkts von Iberien, gerieten sie in einen warmen südlichen Wind aus den Bergen Libyens, der das quergestellte Segel füllte und sie gut voranbrachte.
    Zwei Tage später liefen sie bei strahlender Nachmittagssonne in die Bucht von Gadir ein. Das Kupferdach des uralten Melqart-Tempels am Südende der langen Insel glitzerte grünlich. Im Hafen an der Nordostspitze sah Antigonos ein Schiff, das ihm fast verschüttete sehnsüchtige Erinnerungen zurückbrachte: einen der sechzig Schritte langen, fünfzehn Schritte breiten, hochbordigen zweimastigen Frachter, die mit verschwiegenen Kapitänen und eingeschworenen Mannschaften Zinn, Bernstein und Pelze aus dem Norden, Gold und Elfenbein aus dem Süden und noch mehr Gold, Schnitzereien und seltsame Gewürze aus dem fernen Westen jenseits des Okeanos holten. Er seufzte.
    Neben ihm seufzte auch Sosylos. »›O Tartessos, gleißendes Gold im Sinken der Sonne‹; wenn ich nur noch wüßte, wie es weitergeht«, sagte er.
    »Egal wie es weitergeht – Tartessos, oder was von Tarshish übrig ist, liegt eine Tagesreise nördlich, zwischen den beiden Mündungen des Großen Flusses, den die Turdetaner Baits oder Tarshish nennen.«
    Sosylos runzelte die Stirn und blickte sehr verblüfft. »Ich dachte, Tartessos sei hier, gegenüber von Gadir.«
    »Ist es nicht. Nur aus der Ferne wirken zwei Städte, zwischen denen eine Tagesreise zu Schiff hegt, wie eine.«
    »Da du soviel weißt, kannst du mir sicher auch sagen, was es mit Kolaios von Samos, König Arganthonios von Tartessos und allem anderen auf sich hat.«
    Tsuniro trat zu ihnen und stützte sich auf Antigonos’ Schultern. Sie schwieg und blickte zu den weißen Häusern.
    »Kann ich, o Sosylos von Sparta. Tarshish war die Hauptstadt eines großen Reichs, das sich über die Südküste Iberiens und das Hinterland erstreckte. Silber und Kupfer aus den iberischen Bergen, Zinn und Bernstein aus dem fernen Norden, alles kam in Tarshish zusammen. Das alte Gadir, gegründet von Seefahrern aus Tyros, konnte immer nur einen winzigen Teil des Handels an sich ziehen. Vor vielen Jahrhunderten, als Tyros mächtig war, kamen mehr Seefahrer und Krieger nach Gadir und sorgten vorübergehend dafür, daß Tarshish kleiner wurde. Zur Zeit der assyrischen Herrscher verlor Tyros nicht nur fast die Seele, sondern auch die Herrschaft über die alten Pflanzstädte im Westen, und Tarshish blühte wieder auf, unter einem starken König. Dieser Arganthonios nutzte den Niedergang von Tyros, um mit den Hellenen zu handeln – von Massalia bis Samos. Dann erstarkte Karchedon, drängte die Hellenen aus dem westlichen Teil des Meeres zurück, besetzte Gadir und zerstörte Tarshish. So einfach. Es ist vielleicht zweieinhalb Jahrhunderte her, oder etwas mehr. Die Ruinen der Königsstadt liegen unter dem Schlamm, den der große Fluß aus dem Hinterland zum Okeanos bringt. An der Mündung gibt es heute ein Fischerdorf; es heißt Tarshish und hält sich für bedeutend.«
    Gadirs weiße Häuser, die lichten luftigen Innenhöfe mit ihren Brunnen, die mächtigen Wälle und großen Werften, die gefüllten Lager, in denen alles umgeschlagen wurde, was Iberien und die Länder und Inseln des Okeanos liefern konnten, die weite blaue Bucht, die grünen Ufer – der Traum im Westen. Antigonos war ein wenig verärgert über Sosylos und sich selbst, daß er eine lange Rede gehalten hatte, statt stumm das Wiedersehen zu genießen, alles in sich aufzusaugen. Tsuniro spürte es; sie blies ihm in den Nacken und fuhr mit einem scharfen Fingernagel seine Wirbelsäule hinab. Dabei summte sie leise.
     
    Nicht ganz hundert Meilen oberhalb der Mündung des Baits, in einer fruchtbaren feuchten Ebene, war einer der neuen Mittelpunkte des wachsenden Reichs entstanden. Da die Gegend von Kaninchen wimmelte, hatte Hamilkar den

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