Hanibal
westliche Libyen. Oder, was wahrscheinlicher ist: Rom setzt sich im Norden Iberiens nieder, und spätestens nach drei Jahren begreifen die Iberer des Nordens, daß sie unter punischer Herrschaft leichter und besser und freier gelebt haben. Dann erheben sie sich gegen die Römer, und der Süden wird mit hineingezogen. Statt einen Krieg zu vermeiden, beschwörst du ihn herauf.«
»Es wäre ein anderer – der mit der Räumung Iberiens enden würde.«
Plötzlich begriff Antigonos, daß der zweiundsechzigjährige Führer der »Alten« verzweifelt war; und der Hellene lachte.
»Jetzt verstehe ich… Der Rat hat die zakanthanischen Geiseln angenommen; die Barkiden haben die Beute unter das Volk verteilt. Du weißt, daß du in der Beratung heute nachmittag verlieren wirst. Und jetzt willst du, daß ich die Barkiden zwinge, den römischen Stiefel zu lecken?«
»Du kannst es.« In Hannos Gesicht regte sich nichts. Die Schlangenaugen blickten fest und kalt, aber diesmal war es nur eine Maske.
»Die beiden großen Geldmänner«, sagte Antigonos. »Hanno für die Grundherren, Antigonos für die Händler. Sie feilschen um die Zukunft der Stadt und des Erdkreises. Wenn Qart Hadasht fällt, Hanno, gehört Rom die ganze Oikumene. Oder meinst du, Makedonien kann die Legionen aufhalten? Oder Athen, Pergamon, wer auch immer?«
»Rom will das doch alles gar nicht.«
»Doch, genau das will Rom. Qart Hadasht ist der letzte Wall. Ägypten spielt das Spiel des Senats. Und Syrien? Syrien ist weit; die Seleukiden können sich in die baktrischen Berge zurückziehen. Das ganze Meer, Hanno, alle Länder unter dem römischen Stiefel; ist es das, was du willst?«
Der Punier runzelte die Stirn. »Nein – aber besser dies als untergehen.«
»Der Untergang ist nicht gewiß; die Sklaverei wohl. Nein , Hanno – ich werde die Barkiden nicht drängen, vor Fabius auf dem Bauch zu kriechen. Und du vergißt bei deinen Berechnungen eines. Einen Mann: Hannibal. Und sein Heer. Meinst du denn, selbst wenn deine Wünsche erfüllt werden, nimmt Hannibal alles so einfach hin?«
»Vielleicht wird er es hinnehmen müssen.«
Hanno hatte noch eine Idee, aber davon erfuhr Antigonos erst später. Der Hellene erreichte Bostar und den Führer der barkidischen Partei, den ehemaligen Suffeten Bomilkar, noch vor Beginn der Sitzung des Rats. Er bat sie, Hanno reden zu lassen, und versicherte ihnen, er werde alle »Alten« in die Arme der Barkiden treiben.
Den Nachmittag verbrachte Antigonos in der Bank. Es gab kaum Kunden; über der Stadt lag eine unsichtbare Bleischicht.
Aus seinem Fenster sah er, daß im Hafen kaum gearbeitet wurde; Händler, Stauer und Handwerker saßen in kleinen Gruppen herum und redeten. Alle wußten, was im Ratsgebäude vorging.
Die Wintersonne war bereits gesunken, als Bostar die Bank betrat. Antigonos war unten; er hatte die Mitarbeiter früh nach Hause geschickt, da ohnehin nichts zu erledigen war. Ein Blick in das Gesicht seines alten Freundes genügte. Bostar wirkte grau im Licht der einzigen Lampe.
»Krieg.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Bostar nickte, seufzte, ließ sich auf einen Stuhl fallen.
»Krieg, ja. Sie wollten nichts anderes.«
»Wer sie ?«
»Die Römer. Es war von Anfang an völlig klar.«
»Erzähl.«
»Nicht viel zu erzählen, Tiggo. Sind reingekommen, die Römer, als ob ihnen alles gehört. Die Suffeten haben höflicherweise auch römische Götter angerufen. Dann los.« Quintus Fabius, Marcus Livius, Lucius Aemilius, Gaius Licinius und Quintus Baebius hintertrieben alle Versuche, in der üblichen freundlich unverbindlichen Weise miteinander zu reden. Fabius erhob sich, nachdem die Götter angerufen und die Sitzung eröffnet war, und fragte lediglich, ob Hannibal Saguntum auf Beschluß und Befehl des Rats von Karthago belagert habe. Bostar gab eine gute Darstellung, indem er die Halsmuskeln blähte, den Kopf dabei zwischen die Schultern zog und das Kinn vorreckte. Antigonos, der den schweren sturen Römer von den Iberos-Verhandlungen kannte, grinste müde.
»Bomilkar hat es dann ganz sauber gemacht. ›Immer mit dem Kopf durch die Wand, Römer, wie?‹ So ungefähr jedenfalls. Wollen wir nicht zunächst einmal die Frage erörtern, warum Zakantha belagert und erstürmt wurde, und ob der Vorgang gegen geltendes Recht und geltende Verträge verstößt?‹ Fabius stiert ihn eine Weile stumm an; dann wiederholt er seine Frage:
›Geschah es auf Beschluß und Anweisung des Rats von Karthago?«
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