Hanibal
fahrenlassen und aussteigen, Fürst der Landherren? Wenn das Schiff zu schlingern beginnt? Oder wenn dich außer Sichtweite des Landes die Seekrankheit packt?«
»Wenn ich genug gerudert habe, Metöke. So einfach. Dies wird aber auch der Zeitpunkt sein, an dem es für das Schiff besser wäre, die Segel zu streichen, die Ruder einzuziehen und am Kai festzumachen.«
»Diesmal hält ein anderer das Steuer, Hanno.«
»Ich weiß, Metöke. Aber wenn sich der Holzwurm des Kielraums annimmt, sollte der Steuermann den Hafen suchen.«
»Du vergißt, Punier, daß der Hafen dann vielleicht schon von italischen Seeräubern besetzt ist.«
Hanno stülpte die Lippen vor. »Das mag sein. In diesem Fall wäre es ein ungesunder Ort für den Steuermann. Aber gewisse Ruderer wie du und ich können auch mit Seeräubern Geschäfte machen – für sie rudern oder ihnen zeigen, wo das beste Holz für den Schiffbau wächst.«
Antigonos stand auf, schob seinen Stuhl zurück und streckte die Hand aus. Tomyris ergriff sie; ihre tiefen dunklen Augen wanderten immer wieder von Hanno zum Hellenen und zurück.
»Ich sage dir heute bereits eines für diesen Fall voraus , Hanno.« Antigonos sprach nicht laut, aber überdeutlich und scharf; es war in der letzten Ecke zu hören, und mindestens einer von Hannos Begleitern duckte sich. »Und ich rate dir gut, es nicht zu vergessen.«
Hanno nickte und sah den Hellenen fast fröhlich an. »Du siehst mich voll verwunderter Erwartung, Metöke. Was soll ich nicht vergessen?«
Antigonos zog seinen alten ägyptischen Dolch aus der Scheide und hielt ihn hoch; von der gekrümmten Klinge tropfte Fackellicht zu Boden. »Ein Beispiel für die Vielfalt der alten Länder, Hanno. Wenn es irgendwann nur noch römische Waffenschmiede gibt; wenn der beste Steuermann, den dieses Schiff je hatte, von Holzwürmern zur Aufgabe gezwungen wird; wenn sich herausstellen sollte, daß jemand die Holzwürmer absichtlich in den Kielraum gebracht oder gelassen hat.« Er steckte den Dolch wieder ein.
Hanno kniff die Augen zusammen. »Alte Krokodile haben scharfe Zähne. Und dicke Panzer. Es liegen schon viele verrostete Dolche unter ihnen im Nil.«
Antigonos ließ Tomyris los, ging zu Hanno und klopfte ihm auf die Schulter. »Fett«, sagte er. »Keine Muskeln, kein Panzer, nur Fett. O großes altes Krokodil.«
Obwohl müde nach köstlicher Erschöpfung, konnte Antigonos doch nicht schlafen. Er kannte den Zustand und versuchte sich zu entspannen; seit seiner Rückkehr nach Qart Hadasht hatte er kaum je tief geschlafen. Vielleicht fehlten ihm die Mühen des Feldzugs, um wahre Ruhe zu finden; vielleicht war sein Körper nicht genug ausgeschöpft, sein Gehirn nicht genügend gefordert. Er lauschte der Nacht, Tomyris’ Atemzügen, dem Knacken der Bohlen und des Betts. Irgendwo über ihnen raschelte es, vermutlich ein nächtliches Treffen der Mäuse des Hauses. Die Kleider, auf dem Boden verstreut, dünsteten Wein aus, brennendes Holz, Küche, Speisen. Noch etwas war da, vom Atem und dem Geruch der heißen Körper nicht vertrieben: die schwere Schärfe der Duftwässer, in denen Hanno sich suhlte und mit denen er seine Gewänder tränkte. Antigonos schnupperte an seiner rechten Hand; er hätte dem Punier nicht auf die Schulter klopfen sollen.
Als die Schreie der Nachtvögel seltener wurden und die erste Helligkeit den Rand des Vorhangs aus gefüttertem Leder umriß, ging ihm grell der Grund seiner Schlaflosigkeit auf. Wahrscheinlich machte er eine jähe Bewegung; Tomyris erwachte, setzte sich, sah ihn an, übergangslos klar.
»Was ist?«
Er berührte ihre Wange. »Nichts, o Gnade der Kypris. Nur ein plötzliches Begreifen.«
»Sag es, damit ich es weiß.«
Er nickte. »Fast zwei Jahre war ich bei Hannibal, habe gesehen, welche Leiden und Mühen Tausende auf sich nehmen, damit diese Stadt, in der ich geboren wurde, weiter frei und groß bleibt. Und seit ich zurückgekommen bin, habe ich angefangen, sie zu hassen. Meine Stadt.«
Sie beugte sich vor, und es war, als ob sie mit der Zungenspitze beschwörende Zeichen in seine Brust sengte. Dann murmelte sie: »Liebe löscht Haß.« Mit einer geschmeidigen Bewegung, die gleichzeitig ein Dehnen, ein Drehen und ein Wogen war, rollte sie sich auf ihn.
Es war noch immer früher Morgen, als sie das Haus der Weinhändler verließen, um irgendwo zu frühstücken. Auf der Straße blieb Tomyris stehen und nahm seine Hand.
»Mein Schiff kann heute segeln, es kann aber auch warten.
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