Hanibal
daß nun endlich Mago und Hasdrubal Giskon mit der Hälfte der fast siebzigtausend Kämpfer nach Norden und nach Italien ziehen würden. Aber der Rat von Qart Hadasht sah die Dinge anders: Vordringlich seien die endgültige Befriedung und Ordnung Iberiens, höhere Förderung in den Silbergruben, Erschließung weiterer Märkte.
Auf Sizilien war trotz des Untergangs und der Plünderung von Syrakosai der Krieg nicht beendet. Antigonos besuchte Akragas, sprach lange mit Sikelioten, die den großen Archimedes gekannt hatten, eines der Opfer römischer Schlächterei in Syrakosai; er erfuhr, daß Marcus Claudius Marcellus, Roms fähigster Feldherr, sogar bei einigen Römern den Beinamen »der Schlächter von Sizilien« erhalten hatte. Hannibal, in Italien immer mehr auf sich und die Gelder der Sandbank und seines eigenen Vermögens angewiesen, bestritt den Krieg zur Hälfte mit Italiern: Bruttier, Kampaner, Lukanier, die sich hatten anwerben lassen. Trotzdem sah er, was an anderen Plätzen geschah und bemühte sich, so gut es ging Lücken zu schließen.
Die schlimmste Lücke, Hellas, war nicht zu schließen. Der bedeutende Bündnispartner Philippos führte einen sinnlosen Kleinkrieg gegen andere hellenische Gebiete, die von kleinen römischen Truppen unterstützt wurden. Die zweite Lücke tat sich auf Sizilien auf. Himilko, der nicht sehr fähige, aber immerhin vorsichtige Unterstratege des ersten Jahrs, war abgelöst worden, auf Geheiß des Rats und der Hundertvier, die ihn der Untätigkeit bezichtigten. Einer heilsamen Untätigkeit: Er hatte kleine Bodengewinne gemacht, war jeder offenen Schlacht ausgewichen, hatte die Römer fast aus Westsizilien verdrängt. Sein Nachfolger wurde ein hirnloser Draufgänger namens Hanno – ein Großneffe Hannos des Großen. Innerhalb weniger Monde verlor er weite Gebiete und stieß die Sikelioten immer wieder vor den Kopf; er gebärdete sich als punischer Herr des Landes und sah alle anderen – auch die eigenen nichtpunischen Truppen – als minderwertig an. Hannibal bat den Rat von Qart Hadasht, Mago nach Sizilien zu holen; vergebens. Er schickte den treuen Maharbal – aber dessen Familie hatte irgendwann einmal Schulden bei Hannos Sippe gemacht, und der Unterstratege Hanno von Sizilien schickte Maharbal zurück nach Italien. Dann sandte Hannibal seinen besten verbliebenen Mann, den Libyphöniker Muttines. Antigonos sah den Beginn, ahnte das Ende und reiste ab.
Muttines übernahm die gesamte Reiterei und wurde zum Schrecken der Legionen, kämpfte aber insgesamt mehr gegen Hannos Anmaßung als gegen die Römer. In einem Moment der Verzweiflung gab er plötzlich auf, öffnete die Festung Akragas den Römern, nahm das angebotene römische Bürgerrecht an, nannte sich Marcus Valerius Mottones, reiste nach Rom und stürzte sich drei Monde danach in sein Schwert. Akragas war verloren, Hanno der Großmäulige wurde von den Legionen eingekreist und mit seinem Heer vernichtet. Der Krieg auf Sizilien war zu Ende.
Der Mittelpunkt des Strudels, Süditalien, schien beinahe ruhig, da die Römer selten unmittelbar gegen Hannibal vorzugehen wagten. Sie nahmen Städte, wenn der Stratege an einer anderen Stelle weilte, verbrannten die Erde, metzelten die Bevölkerung nieder, versklavten die Überlebenden, schienen es darauf anzulegen, das ganze Land, das sie dem immer mehr schrumpfenden Heer des Puniers nicht entreißen konnten, zu zerstören. Wenn einer der Konsuln oder Konsulare sich im Vertrauen auf die Überlegenheit der Zahlen zum Kampf stellte, verlor der Senat ein Heer und oft gleich den Heerführer dazu.
Die scheinbare Ruhe und die alten Besorgnisse ließen den Rat von Qart Hadasht Verstärkung für Hannibal als überflüssig oder gar schädlich betrachten. Sizilien verloren, Sardonien verloren, aber in Iberien war der große Sieg errungen, die Märkte und Silbergruben waren sicher, das große Aufräumen im Land konnte beginnen. Mago und Hasdrubal rangen mit den Ältesten: Es gebe nur zwei wichtige Ziele, nämlich die restlichen römischen Truppen zu vernichten, die in erbärmlichem Zustand waren und keine ernsthafte Gegenwehr hätten leisten können, und ein Heer durch Gallien und über die Alpen schicken. Der Rat und die Ältesten beschlossen es anders: Die Römer seien keine Bedrohung, früher oder später werde Rom sie aus Nordiberien zurückholen; und Hannibal wisse sich selbst zu helfen. In dem Jahr, da Akragas fiel, schickte Rom einen Fünfundzwanzigjährigen als Befehlshaber zu den
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