Hanibal
aus dem Binnenland. Claudius Nero verschanzte sich wenige Meilen westlich von Canusium hinter dem Aufidus; bei Grumentum hatte er es mit einer Phalanx versucht, bei Venusia mit hintereinander gestaffelten Manipeln. Bei Grumentum hatte Hannibal das Gefecht durch die Kataphrakten entschieden, bei Venusia durch einen schrägen Angriffskeil des schweren Fußvolks aus Libyern und Kelten. Der Konsul begnügte sich nun damit, die Flußübergänge und die Straßen nach Norden und Westen zu sperren. In einem überraschenden Nachtangriff der Reiter, die mit aufgesessenen Fußkämpfern den Aufidus fern von den römischen Stellungen überquerten und kurz nach Mitternacht Lager und Verschanzungen angriffen, wurden die Römer abermals zurückgeworfen; die Punier beherrschten beide Ufer und alle Übergänge.
Nun bauten die Römer ein weitgespanntes System von Wällen und Verhauen mit zwei stark befestigten, etwas zurückliegenden Lagern. Hannibal schickte Streifen, die die Veränderungen im nördlichen Apulien erkunden und Umgehungen finden sollten. Lukanische Städte, die sich Rom wieder angenähert hatten, gingen erneut zu den Puniern über. In Samnium brach ein begrenzter Aufstand los.
Es war wie ein Rausch, die Befreiung, die Erlösung nach Jahren. Endlich das zweite Heer, endlich die Möglichkeit der Entscheidung. Der Rausch hielt an, auch während man tagelang fast untätig in und bei Canusium lagerte. Der Ort war ein guter Lagerplatz; die Streifen hatten mehrere Wege gefunden, die römischen Sperren zu umgehen, aber das Heer blieb am Aufidus. Jede Bewegung nach Norden oder Nordwesten war unsinnig, solange man nicht wußte, welchen Weg Hasdrubals Heer nehmen würde. Stieß er etwa an der italischen Ostküste nach Süden vor, wurden Begegnung und Vereinigung schwierig, wenn Hannibals Heer sich zu weit nach Westen begab.
Alle fieberten. Nur der Stratege wirkte beherrscht und kühl , wie immer. Er ließ Plünderzüge unternehmen, römisch besetzte Ortschaften umreiten, die Straßen erkunden. Und warten. Abend für Abend blinzelten die Feuer der römischen Sperrstellung zu den Feuern des punischen Lagers herüber; Tag für Tag kam es zu kleinen Scharmützeln von Reitertrupps oder Leichtbewaffneten. Bis zu jenem furchtbaren Abend, als die Römer den Puniern ein Geschenk machten.
Später setzte sich das Bild zusammen, das an diesem Abend keiner sehen konnte. Hasdrubal war viel früher und ohne jede Mühe durch die Alpen gezogen, hatte in Norditalien Ligurer und Kelten gesammelt und war mit einem Heer von über vierzigtausend Mann und dreißig Elefanten zur Ostküste vorgestoßen, vorbei an Ariminum, um auf der Via Flaminia nach Süden zu marschieren. Seine Boten – vier Kelten und zwei Numider – wurden von den Römern abgefangen. Claudius Nero wagte alles und gewann. Hinter der Kette von Feuern und Posten zog er seine besten Truppen ab – sechstausend Fußkämpfer und tausend Reiter – und hetzte sie in Eilmärschen nach Norden; in der Nähe des Metaurus erreichte er das Lager des anderen Konsuls, Marcus Livius Salinator. Obwohl sie alles geheimhielten, verrieten doppelte Hornsignale dem erfahrenen und umsichtigen Hasdrubal, daß beim Gegner etwas geschehen war. Er brach sein Lager ab und zog nach Nordwesten, um auf dem linken Ufer des Metaurus zur Marschstraße zu gelangen und die Römer zu umgehen. Aber die ortskundigen Führer verließen ihn in der Nacht, und die neu zum Heer gestoßenen Kelten sorgten immer wieder für Stockungen und Durcheinander. Vor Erreichen und Überschreiten des Flusses wurde das Heer von den Römern eingeholt und zur Schlacht gezwungen.
Antigonos hockte mit Führern und Unterführern an einem Feuer; jemand sang ein freches bruttisches Lied, die Männer lachten und erzählten Anekdoten. Bei den Posten gab es auf einmal Unruhe; dann kamen zwei Libyer gelaufen.
Was sie brachten, erreichte Himilkos Hände. Des Puniers Beine schienen einzuknicken; auch im Zwielicht der Feuer sah Antigonos das Gesicht aschfahl werden. Er hielt den rundlichen Gegenstand hoch. Wie in einem grausigen Traum streckte Antigonos die Hände aus. Das Ding war verformt, verkrustet, verfärbt und stank.
»Ich gehe. Gib…«
Vielleicht dachte er es auch nur, sagte es nicht. Er wußte auch nicht, wie es ihm gelang, die Beine voreinander zu setzen. Sein Gesicht troff. Er spürte die Unruhe der Männer; obwohl er nicht bei sich war, konnte ein verbliebener Teil des Hellenen die bleierne Last des Entsetzens im Lager körperlich
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