Hanibal
Zweiundsiebzigjährige. Sie kicherten, zwickten und umarmten einander. »So richtig verändert hat sich keiner von euch«, sagte Daniel. »Vertrottelt wart ihr immer schon. Kommt, ins Haus. Der Hausherr ist aber noch nicht zurück.«
»Wo steckt er denn?«
»Ist heute früh irgendwohin losgeritten. Mit seiner Frau.« Antigonos schüttelte den Kopf. »Seiner was?«
»Frau. Nie gehört?« Daniel grinste. »Zweibeiniges Geschöpf mit griffiger Oberfläche. Zur Fortpflanzung nötig, ansonsten eher nutzlos und nicht besonders haltbar.«
Vom Glauben seiner Ahnen, der ihn verpflichtete, nur eine Jüdin zur Frau zu nehmen, war Daniel nicht abgefallen; er hatte ihn lediglich durch Gleichgültigkeit und Nichtverwendung schal werden lassen, sich mit einer Libyerin vermählt, fünf Kinder gezeugt, war vierzehnfacher Großvater und seit fünf Jahren Witwer.
Sie gingen unter den Bäumen hindurch zu einer zweiten Mauer, an deren Innenseite sich weitere Schuppen und Ställe befanden. Der Boden zwischen Mauer und Haus war mit Ziegeln bedeckt; Antigonos sah drei Brunnen. Das Haus selbst stand auf einer Grundfläche von vielleicht fünfzig mal fünfzig Schritten; das untere der drei Geschosse hatte keine Fenster. Die Tür war mit Eisenplatten verstärkt. Unter den Fenstern des ersten Stockwerks zogen sich wie ein Fransensaum Eisenstacheln um das ganze Haus.
Während Daniel Erfrischungen bereiten ließ, wanderten Bostar und Antigonos durch das Gebäude, an das der Hellene sich auch nach so langer Zeit gut erinnerte. Die kleine Festung, in der Hannibals Vorfahren sich oft gegen plündernde Numider oder Libyer verteidigt hatten, stammte in ihrer jetzigen Form von Baalyaton, dem Vater des Hannibal, dem Vater von Hamilkar dem Blitz. Teile der Einrichtung waren jedoch älter. Schwere hundertjährige Truhen, ägyptische Glasgefäße aus der Zeit vor der persischen Herrschaft am Nil, der bronzene Brustschutz, der einem Krieger des Kroisos gehört hatte, geschnitzte Jadefiguren aus China, der nach unbekannten Vorschriften behandelte Kopf eines großen menschenähnlichen Affen – ein Vorfahr namens Mago hatte an der langen Libyenfahrt des Seefahrers Hanno auf dem Okeanos teilgenommen –; eine goldene Platte, groß wie ein Wagenrad, mit getriebenen Darstellungen aus der alten indischen Götterwelt; ein schillerndes schlichtes Gefäß aus glattem Zedernholz zur Aufbewahrung von Weihrauch, das der Steuermann des Schiffs der Königstochter Elissa aus Tyros mitgebracht hatte; tausend Tierfiguren aus Walknochen, Elfenbein, Schildpatt, Onyx, Karneol; Schmuckstücke aus Gold, Silber, grünem Kupfer, hundert verschiedenen Edelsteinen. Antigonos betrachtete mit Liebe und Trauer eine Kette aus leuchtend grünen Steinen, die sich mit kleineren blutroten abwechselten, aufgereiht auf dünnstem Golddraht, mit zwei handtellergroßen, von Goldstreben gehaltenen Goldscheiben, auf denen sich fantastische Vögel spreizten: ins Gold eingelassene, mit einer dünnen Schicht von rauchfarbenem Glas überzogene Edelsteinsplitter. Kshyqti hatte diesen wunderbaren Schmuck bei einigen festlichen Anlässen am Hals und auf der Brust getragen.
In anderen Räumen standen schwere Betten aus Ebenholz, mit geschnitzten Menschenköpfen und Elfenbeinplättchen, weißen Leinenlaken auf straffem narbigen Leder, darüber Decken aus purpurgetränkter Seide mit Goldborten oder aus schwerem Goldbrokat. In der Bibliothek – drei ineinandergehenden Räumen an der Westseite – lagen in schwarzen Regalen Tausende luftdicht mit Wachs verschlossener Tonzylinder. Sie enthielten Papyrosrollen, Abschriften oder Einzelstücke unersetzlicher, unbezahlbarer und zum Teil unglaublicher Werke: der Reisebericht des Steuermanns Mago, hundertmal ausführlicher als Hannos Bericht im Tempel; eine frühe hellenische Niederschrift der Odysseus-Verse des blinden Homeros, samt einer frühen phönikischen Übersetzung; Abschriften der Königschroniken der Stadt Tyros; Chroniken aus Gadir, Tarshish, Liksh, Kalpe, Kerne, Qart Hanno an der Mündung des Gyr; die Chroniken von Qart Hadasht, die Berichte der Festungsmeister Siziliens und Sardoniens, die Berichte der Hafenherren auf den Glücklichen Inseln; die Aufzeichnungen der Kapitäne, die den Okeanos überquert und im Norden und Süden der jenseitigen Länder Handel getrieben hatten; eine verbotene Niederlegung der heiligen Bücher der Ägypter in Volksschrift; Manethos ägyptische Vorlagen; eine ägyptische Tempelschrift-Fassung der sumerischen
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