Hanibal
Ich will der großen Besorgnis der Römer ein Ende machen, da sie es nicht erwarten können, einen alten Mann in Ruhe sterben zu sehen.
O Tiggo, der lange Tag endet, und es beginnt die Nacht, aus der niemand wiederkehrt. Wenn ich das Leben in Stunden eines Tages teile, warst du zu allen Stunden bei mir. Es war ein guter Tag, und er war nicht vergeudet. Nur Kleinmütige beklagen, was nicht erreicht werden konnte.
Ich kann dir niemals danken. Das Schwert gib einem, der es führen kann. Ich umarme dich.
Nur die unvollständige Anschrift war auf Hellenisch, der Rest auf Punisch.
Lange, lange habe ich den einsamen Mond betrachtet, der in den vergangenen Nächten zunahm. Das Meer glitzert und lockt; Salz dringt in die Gemächer. Heute habe ich alles bereinigt, alles verfügt, alles Unklare geklärt. Aristophanes von Byzantion, Herr der großen Bibliothek, hat die beschriebenen Rollen entgegengenommen und wird sie, nachdem zwei Abschriften gefertigt sind, in die Abteilung Karchedon legen. Korinna wird, wenn die letzte Rolle beschrieben ist, einhundert Talente erhalten und frei sein. Das Haus, die Geschäfte, die Lager, die Schiffe, die Häuser in anderen Städten hinterlasse ich Memnons Söhnen, die in den beiden vergangenen Jahren liebenswerte und vorzügliche Enkel waren – Väter meiner Urenkel, deren ältester bereits dreizehn Jahre zählt. Fünfhundert Silbertalente in Goldmünzen und Silberbarren werden Bomilkar und mich auf der langen Reise begleiten, uns beide und die gute letzte Mannschaft der letzten Schwinge des Westwinds. Den Nil hinauf ins elende Kusch, von dort mit Eselmännern durch die westliche Wüste und über die Berge. Ariston erwartet uns unter den südlichen Sternen, im dampfenden Dschungel. Sein Reich, mit dem anderen Schwert erkämpft, dem letzten, berührt den südlichen Okeanos. Es wird noch einmal einen Hafen geben, ein Haus und Wein am Gestade, Salz und Wogen. Dann die Nacht.
Dieses lange Werk jedoch wird ohne rechten Abschluß bleiben. Die Bruchstücke aus vielen Jahren, begonnene Aufzeichnungen, aufbewahrte Briefe, all dies habe ich mit Korinnas Hilfe und Spott ausgebessert und zusammengefügt. Es ist darin zuviel die Rede von einer unwichtigen Person namens Antigonos, einem eitlen Händler und Bankherren, dessen Lüste und Leiden für niemanden von Belang sind. Zu wenig von Hamilkar dem Blitz und Hasdrubal dem Schönen; viel zu wenig von Hannibal.
Was ich am Anfang erwog, die Schilderung meiner Jugend zu ergänzen, ist müßig und überflüssig. Es sind Erlebnisse aus einer anderen Zeit, und sie wurden erlebt von einem jungen Mann, den ich längst nicht mehr kenne.
Der Brief, das Schwert, die beim Schreiben erwachten Erinnerungen an das Glück des neuerweckten Qart Hadasht, an den größten aller Suffeten, an die kostbare Elissa und an das Grauen der Stunde des Bocks: Zusammen lahmen sie Zunge und Feder. Die Vorgänge von dort bis zu Hannibals Ende gründlich zu schildern würde abermals hundert Rollen Papyros erfordern, viele Tage und mehr Kraft, als ich nach dieser Erschütterung und Lähmung noch besitze. Zwölf Jahre lagen zwischen dem Ende des Ersten Römischen Kriegs und Hamilkars Tod, zwölf Jahre zwischen der Erstürmung von Zakantha und dem Tod Hasdrubals in der Schlacht am Metaurus; abermals zwölf Jahre, in denen nicht weniger geschah, zwischen Hannibals Flucht aus Qart Hadasht und seinem Tod in Libyssa. Noch einmal zwölf Jahre der Pläne eines großen Mannes – großer, durchführbarer Pläne, die an der eitlen Winzigkeit der Könige Antiochos und Prusias scheiterten; zwölf Jahre des Kampfs gegen die Barbaren und ihre konsularischen und senatorischen Führer, Räuberhauptleute. Im Land der Galater, ein Jahr nach der großen Schlacht am Berge Sipylos, schänden sie die Männer, schändeten sie Frauen, schachteten Kinder und Greise; sie ließen ein Fünftel der Menschen leben, und diese vierzigtausend wurden versklavt; die alten Königsstädte, die die galatischen Kelten nicht angetastet hatten, die Paläste von Kroisos und Kyros, die Tempel von tausend Göttern, wurden zertrümmert und geplündert, wie im gleichen Jahr das alte ehrwürdige ionische Ambrakia. Und ich besitze nicht einmal eine Abschrift von Hannibals Brief hierüber, den er mir zeigte, ehe er ihn an Roms Bundesgenossen, die Rhodier schickte. Es war ein Brief von großartigem Hohn und Trotz; er tadelte die Rhodier ob ihrer mangelnden Folgerichtigkeit und riet ihnen, wenn sie denn die Oikumene und sich
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