Hanibal
Gesundheit erkundigt, von der sie weniger wußten als er, dunkle Reden über ein mietbares Kurierboot in Ostia gehalten und wie im Selbstgespräch über Hasdrubal den Bock geplaudert, der mit Klagen gegen den Suffeten nach Rom gekommen sei – Hannibal plane, Karthago mit Antiochos zu verbünden und gegen Rom Krieg zu führen. Er wisse natürlich, murmelte Scipio dann, daß all dies Unsinn sei, und er habe sich dem Senat widersetzt, aber gegen seinen Willen sei nun beschlossen worden, von Karthago die Auslieferung des Suffeten Hannibal und seines Freundes und Bankherren Antigonos zu fordern.
Einen Tag nach dem Boot kam das Kriegsschiff der römischen Wölfin, und es begann die Zeit Hasdrubals: die Stunde des Bocks.
ELISSA, TOCHTER DES BUDUN, GATTIN HANNIBALS, AN ANTIGONOS SOHN DES ARISTEIDES , HERR DER SANDBANK
Hüter der Schätze, Schirmherr der Blitze, Freund aller Freunde – o Tiggo. Hannibal schreibt mir, alles stehe zum Besten. Das Land hier ist ruhig und glücklich; man singt bei der Arbeit. Ich weiß, daß Hannibal und Bonqart mit den Zünften und der Volksversammlung Wunder vollbracht haben, daß die neuen Gesetze nur von einer Volksversammlung aufgehoben werden können, daß selbst ein Suffet namens Hasdrubal der Bock den befreiten Strom nicht wieder stauen kann. Das Land ist lieblich, Daniel erheitert mich durch boshaftes Geschwätz; er sagt, ich solle den blöden alten Trottel von hellenischem Metöken grüßen – wen kann er nur meinen?
Aber wie das Kind in meinem Leib wächst, wuchern die schlimmen Träume. O Tiggo, Träume von Blut und Untergang.
Nicht jede Nacht, aber zu oft, allzu oft. Kannst du, der du so weit gereist bist und so lange in so vielen Ländern und Zeiten gelebt hast, solche Träume deuten? Ein Schiff, am Land verankert, das sich mit Blut füllt und doch nicht sinkt; ein Turm, der in der Wüste aufragt und immer näher kommt, und jedesmal wenn ich sehen kann, daß er aus gräßlichen Schlangen besteht, erwache ich schreiend; ein Löwe aus alles durchdringendem Feuer; eine himmelhohe Wasserwand, die alle rettenden Treppen und Leitern fortreißt. Angst, Tiggo; ich habe Angst und solhe doch jubeln über die Wunder im Land und in meinem Leib.
Drei Monde noch, und abgesehen von den Träumen gibt es keine Beschwerden. Wirst du kommen, Tiggo, wenn das Kind da ist? Sohn oder Tochter, gleichviel, deine Hand sollte auf dem Haupt des Kindes ruhen, wie sie auf dem Hannibals geruht hat. Ich weiß, was du Kshyqti versprochen hast, und ich weiß auch, daß ich nicht würdig bin, Kshyqtis Schmuck zu tragen, den Hannibal mir schenkte. Aber ich liebe dich und danke dir für die Jahre der Freundschaft, die du ihm und den anderen geschenkt hast, und ich bitte dich, auch dieses künftige Kind zu lieben und zu hüten.
Schreib mir, ob du kommen wirst. Und ob du die Träume lesen kannst. Und hüte ihn. Elissa.
EPILOG
Zehn Tage habe ich kein Wort geschrieben, zehn Tage die Kreterin kein Wort schreiben lassen. Zehn Tage des Sinnens, zehn Abende des Trinkens, zehn Nächte des Trauerns. Bomilkar hat mir an den Tagen und Abenden geholfen, Korinna in den Nächten. Seltsam, daß etwas längst als verloren Betrauertes und Hingenommenes, im Gedächtnis vergraben, neu hervortreten und als Geier an der Leber zerren und kauen kann; daß Totes aufersteht, beschworen durch tote Gegenstände.
Bomilkar hat sie mir gebracht; ich segne, preise, tadle und verfluche ihn. Sie müssen einen seltsamen Weg gegangen sein, die beiden Dinge. Ein Sklave barg sie bei Hannibals Tod und versteckte sie vor den Römern und vor König Prusias; in den Wirren des Kriegs zwischen Prusias’ Sohn, verbündet mit Pergamon und Kappadokien, gegen Pharnakes von Pontos gelang es Hannibals letztem Diener, Brief und Schwert von Libyssa nach Kalchedon und Byzantion zu bringen und von dort nach Pella, wo er sie einem Händler übergab, der mich kennt und alles aufbewahrte, da er nicht wußte, wo ich mich aufhielt. In Pella starb der Sklave. Und nun, zwei Jahre nach Hannibals Tod, brachte Bomilkar alles her.
Antigonos Karchedonios, früher Herr der Sandbank zu Karchedon. O Tiggo, dies in Eile. Die Flasche habe ich vom Hals genommen; bald werde ich Elissa zum letzten Mal küssen. Ich weiß nicht, worauf die Knechte des Prusias und die Begleiter des Römers warten. Titus Quinctius Flamininus hat in Nikomedeia die Auslieferung eines Greises verlangt. Sieben Ausgänge unter der Erde, zum Meer und zu den Bergen, und in allen glimmen Fackeln.
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