Hanibal
Zeus.«
Antigonos klopfte ihm auf den grauen Schädel. »Dann will ich verwehen. Viel Spaß noch bei dem Schauspiel drüben.«
Der Elymer schob die Unterlippe vor. »Bah, Spaß. Ich grüble.«
»Was grübelst du, o Psallo?«
»Über die Rätselhaftigkeit der Dinge, und wie es kommt, daß ein alter Mann durch ein paar Euter zu verzücken ist.«
Solange die Stadt das Meer beherrschte, war die Seemauer, die sich von Kap Kamart im Nordwesten über Kap Qart Hadasht im Nordosten bis hinab zum Hafen zog, nicht angreifbar. Außerdem war sie auf die fast überall steilen felsigen Ufer gebaut, wo Angreifer kaum Fuß fassen konnten. Die Landzunge zwischen Meer und See von Tynes im Süden war zu schmal für größere Belagerungsheere; jemand hatte die Stadt einmal mit einem an der Küste verankerten Schiff verglichen, das nur von Land aus bedroht werden konnte. Diese Landstelle war der Isthmos zwischen dem See von Tynes und der seichten Bucht westlich Kap Kamart, kaum breiter als fünftausend Schritt. Im Norden, wo die Seemauer an die Isthmos-Befestigungen anschloß, gab es ein paar kleinere Durchgänge zwischen der Bucht und der Vorstadt Megara; im Süden, knapp oberhalb der Stelle, wo die Südmauer am Tynes- See durch ein System von Türmen, Vorsprüngen und Winkeln mit der Isthmos-Mauer verbunden war, lag das Tynes-Tor. Die Große Straße führte hier durch die Befestigungen hindurch, auf die Brücken über den Gräben, zum riesigen Marktgelände und den Vororten.
Der ganze Rest des Isthmos war von der gewaltigsten Mauer der gesamten Oikumene gesichert. Weder der Tyrann von Syrakosai, Agathokles, vor zweiundsechzig Jahren, noch der Römer Regulus mit seinen Legionen vor sieben Jahren hatten auch nur einen Moment ernsthaft erwogen, dieses Verteidigungswerk zu belagern oder gar zu erstürmen. Der zweiundzwanzig Schritt breite, in der Mitte fünf Männer tiefe äußere Graben konnte im Ernstfall schnell mit Wasser gefüllt werden, indem man die dünnen Dämme zerstörte, die ihn von der Bucht im Norden und dem See von Tynes im Süden trennten. Außerdem waren in den Graben Sicheln, Speere, Haken und Bronzedornen eingelassen, die das Waten ungemütlich machten. Es folgte eine glatte Schräge, bewehrt mit engstehenden Eisenstacheln; darüber erhob sich die erste Mauer, zwei Männer hoch und sieben Schritt breit. Dahinter ein weiterer Graben mit einem Wald aufrechter Speere, eine weitere bewehrte Schräge und die zweite Mauer, fünf Männer hoch und sieben Schritte breit, mit Brustwehr und Scharten für Bogenschützen und Schleuderer. Der letzte Graben konnte ebenfalls mit Wasser gefüllt werden, und dann blieb der Große Wall: acht Männer hoch, fünfzehn Schritte breit, mit nach außen und nach unten gerichteten Eisenstacheln an der Kante der Brustwehr, mit scharfkantigen Steinen, Metallsplittern und Glasscherben, eingelassen in Mörtel; mit viergeschossigen Türmen in Abständen von achtzig Schritten; mit beweglichen Katapulten und Pechöfen und Pyramiden von Steinkugeln und Kammern voller Waffen und Kisten voller Metalltrümmer.
Gleich hinter dem Großen Wall lagen zwei Reihen von Stallungen übereinander, verbunden durch Rampen für die Tiere, Treppen und Gänge für die Menschen. Die unteren Ställe konnten dreihundert Kriegselefanten aufnehmen, die oberen viertausend Pferde. Teils in der Mauer, teils jenseits der breiten Straße zur schnellen ungehinderten Verlegung von Truppen befanden sich die Unterkünfte für zwanzigtausend Fußsoldaten und viertausend Reiter; die Waffenschmieden, die Werkstätten der Wagenbauer und Lederwerker, die Behausungen der Ärzte und Tierpfleger, die Quartiere der Frauen , Kinder und Dirnen, die Hallen mit Vorräten und Rüstzeug, die gewaltigen Mannschaftsküchen. Und die furchtbaren Latrinen – überstehende Sitzbretter mit Löchern, unter die Tonnenkarren geschoben wurden.
Obwohl kaum Elefanten und nur wenige Truppen in der Stadt waren – es gab keine unmittelbare Bedrohung; alle verfügbaren Kräfte standen auf Sizilien, wo der Krieg bald ins siebzehnte Jahr ging, und im unruhigen libyschen Hinterland –, suchte Antigonos im Gewimmel zwei Stunden lang. Er fragte sich, wie man es wohl anstellen mochte, bei voller Besetzung der Quartiere einen einfachen Soldaten zu suchen, wenn der Kaufherr und Unterstratege nun schon kaum zu finden war.
Hamilkar hockte auf einem Fenstersims im zweiten Stockwerk des elften Turms. Er trug nur Sandalen, eine kurze Tunika aus purpurgetränktem
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