Hanibal
werden. Wie soll ich dir neue Bitten vortragen, da ich doch nie genug für deine schriftlichen Ratschläge an einen Unbekannten danken kann?
Ich will, ehe ich zu meiner größten Bitte komme, zunächst versuchen, einen Überblick über die Art und den Umfang der Geschäfte zu geben. Du weißt, daß wegen der Unruhen im libyschen Hinterland Weizen knapp ist in Karchedon, nicht jedoch in Ägypten; Ägypten hält sich aber aus dem Krieg heraus und liefert weder an Rom, das auch nicht zahlen könnte, noch an Karchedon. Es gibt da einen Händler in Massalia, meinen älteren Bruder Attalos, der wiederum durch seine Frau mit gewissen Kreisen in Alexandreia verwandt wurde. Sagt man das so? Gleichviel. Die Seewege zwischen Massalia und Ägypten sind ungesund, wegen des Kriegs und der zahlreichen Kriegsschiffe. Ferner braucht Massalia keinen Weizen. Es gibt jedoch auch in Leontinoi auf Sizilien, in Kolchis am Euxeinischen Meer, in Byzantion und Korinthos und nahezu überall Vettern, Onkel, Versippte. Du wirst das Weitere vertraulich behandeln, dessen bin ich gewiß; daß wir bereits Geschäfte mit der königlichen Bank machen, ohne Wissen derselben, sollte dich allenfalls erheitern.
Maßgebliche Großhändler versichern dem König in Alexandreia, sie würden bei ein bißchen Entgegenkommen im Preis die königlichen Monopolerzeugnisse auch dann kaufen, wenn der Bedarf nicht so hoch sei, aber der König gerade dringend Geld brauche, um seine absehbare nächste Auseinandersetzung mit Syrien zu betreiben. Außerdem verbürgen sie sich dafür, daß ihre jeweiligen Heimatstädte durch sie von den Vorzügen des einzig wahren Nachfolgers des großen Makedonen in Kenntnis gesetzt werden. Ptolemaios läßt ihnen den Weizen ein Zwanzigstel billiger. Massalia bestellt, kann aber nicht abholen, wegen des Kriegs, der den Weg blockiert. Also laufen Schiffe eines Händlers aus Leontinoi Alexandreia an, laden Weizen und segeln wieder ab, mit feinen weißen Segeln. Draußen rollen sie diese ein und setzen neue, mit einem roten Auge darin. Leontinoi, das keinen Weizen braucht, erhält zum Beispiel punisches Glas. Und Duftwässer. Natürlich nicht aus Karchedon – die Römer auf Sizilien würden das nicht gern sehen. Sie bekommen die Waren aus Kition.
Nach dem Tod des Vaters ist das Vermögen des alten Handelshauses geteilt worden – theoretisch: je ein Fünftel für die Mutter Apama, den ältesten Sohn Attalos, den zweiten Sohn Antigonos, die Schwester Arsinoe mit ihrem Mann Kassandros und die Jüngste, Argiope. Natürlich ist das hauptsächlich aus Gebäuden, Kenntnissen, Verbindungen und gutem Ruf bestehende Vermögen nicht unmittelbar zu teilen; ich gründete die Sandbank, mit meinem Kindheitsfreund Bostar als Geschäftsführer, und die Bank verwaltet das Vermögen. Die Anteile der anderen werden als rückzahlbare , verzinsliche Darlehen geführt; das alte Handelsgeschäft von Aristeides und seinen Vorfahren gehört der Bank, und mein Schwager Kassandros, schon vor dem Tod des Vaters dessen rechte Hand, bezieht (zusammen mit Arsinoe) Zinsen, außerdem Lohn als Verwalter.
Der erste größere Kauf nach Gründung der Bank war die Übernahme einer kleinen Werft, einige Meilen im Süden, auf der dünnen »Zunge« zwischen Bucht von Karchedon und See von Tynes. Als der Besitzer starb, war kein an der Fortführung der Werft interessierter Erbe vorhanden. Es gibt dort eine Mole, Werkstätten, ein ausgemauertes Dock, Lagerhallen, weitere Nutz und Wohnhäuser. Die Werft bezieht von einem Handelshaus in Korinthos, das einem meiner Vettern zweiten Grades gehört, die langen geraden Fichtenstämme aus epeirotischen und aitolischen Wäldern, aus denen sie kleine Lastschiffe, Vergnügungsboote und Fertigteile zum schnellen Zusammenbau von Kriegsschiffen herstellt; letztere kauft die Verwaltung des Kriegshafens. Kassandros, dessen Geschäft der Bank gehört, kauft von der Werft, die der Bank gehört, Schiffe, die mit einem Darlehen der Bank finanziert werden. Er belädt sie mit Handwerkserzeugnissen; die Ladung wird von einer Sonderabteilung der Bank versichert. Die Handwerkserzeugnisse gehen zum Beispiel nach Kypros; in Kition unterhält mein Vetter aus Leontinoi eine Niederlassung. Der Wert der Waren wird mit dem Weizen verrechnet, den Karchedon nicht in Ägypten kaufen darf. Der Weizen wird auf Schiffen, die der Reederei »Auge des Melqart« gehören, die der Bank gehört, nach Karchedon gebracht und auf dem Markt angeboten oder von der Stadt zur
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