Hannah, Mari
Niemand geht nach Hause, bevor das nicht abgearbeitet ist, verstanden?« Sie sah sich um und entdeckte Robson. »Robbo, ich werde jemand anderen als Aktenführer einsetzen. Ich möchte Sie in meinem Büro sprechen, sobald Sie mit dem fertig sind, was Sie da gerade tun.«
Robson lief rot an, tief getroffen von der öffentlichen Demütigung. Dem Anschein nach hatte er eher damit gerechnet, hinter verschlossenen Türen heruntergeputzt zu werden. Daniels schaute sich wieder um. Sie konnte sehen, dass ihre Entscheidung unpopulär war – keiner wusste, wohin er gucken sollte –, aber sie hatte nicht vor, es sich anders zu überlegen. Es war eine harte Lektion, aber eine wichtige. Sie würde ihnen allen eine Mahnung sein.
»Gut! Worauf warten Sie noch?«, rief sie.
Sie ging in ihr Büro zurück. Ihre Euphorie über Jos Freilassung hatte nicht lange angehalten. Sie hatte ihren Besuch in der Gerichtszelle abgelehnt, während die Kautionsdokumente zusammengestellt wurden, ebenso wie das Angebot, sie nach Hause zu fahren, und stattdessen Olivers Angebot angenommen.
Daniels wollte unbedingt mit ihr sprechen, aber sie nahm ihre Anrufe nicht an.
Es klopfte leise an der Tür, und sie bat Robson herein. Er sah ängstlich aus, als er die Tür hinter sich schloss und auf der anderen Seite ihres Schreibtischs »Haltung annahm« – die Hände hinter dem Rücken, die Füße leicht auseinandergestellt.
»Ich nehme an, dass ich nicht erklären muss, warum ich Sie ersetze?«
»Nein, Boss. Aber wenn ich vielleicht etwas zu meiner Entschuldigung sagen dürfte …«
»Darf ich Sie gleich hier unterbrechen? Meiner Meinung nach gibt es hier keine Entschuldigung. Ich kann nicht noch so einen Fehlschlag riskieren, also finden Sie sich damit ab.« Sie funkelte ihn an. »Wie konnten Sie nur so ein wichtiges Indiz übersehen, Robbo? Das ist doch banal! Man trägt im Winter einen Mantel, oder?«
Robson schwitzte heftig: Dunkle feuchte Flecken erschienen unter seinen Achseln, ein dünner Schweißfilm stand ihm auf der Stirn. »Eine Menge Mädels tun das nicht, besonders an der Quayside«, sagte er lahm.
»Werden Sie jetzt nicht vorlaut«, schnappte Daniels zurück. »Das war eine reife, wohlhabende Frau aus Rotterdam und keine Bordsteinschwalbe! Sie haben’s im großen Stil vermasselt, und das wissen Sie!«
»Ich verstehe, warum Sie wütend sind«, sagte Robson.
»Das bezweifle ich.«
Er hatte offensichtlich überhaupt keine Ahnung, wovon sie sprach. Warum sollte er auch?, dachte Daniels. Ich war diejenige, die die Wahrheit vor ihm verborgen hat, vor allen meinen Kollegen, vor der ganzen Welt. Welches Recht habe ich, zu erwarten, dass irgendwer aus dem Team mich versteht? Aber das entschuldigte seine Inkompetenz nicht.
»Ich suche nicht nach einem Sündenbock«, sagte Daniels. »Sie verdienen, was auf Sie zukommt. Die Frage ist, sind Sie Manns genug, damit fertig zu werden?«
Robson antwortete nicht.
»Na los, verschwinden Sie.«
»Boss …« Er nahm die Schultern zurück und richtete sich auf. »Ich weiß zu schätzen, dass Sie mich nicht ganz aus dem Team werfen. Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe und bin bereit, die volle Verantwortung dafür zu übernehmen. Ich hätte nur gern eine Chance, es wiedergutzumachen. Ich werde alles dafür tun.«
Das Schweigen im Raum war betäubend.
Daniels räusperte sich.
»Wir werden sehen … und jetzt raus mit Ihnen, bevor ich es mir anders überlege.«
80
Am Ende eines sehr langen Tages war Gormley der Letzte, der noch in der Einsatzzentrale saß. Im Licht seiner Schreibtischlampe sah er einen Computerausdruck auf seinem Tisch durch. Er hakte einen Namen ab, griff nach unten und holte die dazugehörige Akte aus einem großen Karton auf dem Fußboden. Das Schild auf dem Deckblatt besagte: LEBENSLÄNGLICH – PETER BATES.
»Unglücklicher Name, Bates!« Daniels sah über seine Schulter und erschreckte ihn. Er war so in seine Arbeit versunken gewesen, dass er sie nicht hatte kommen hören. Er legte den Stift weg und lehnte sich zurück.
»Du solltest dich nicht so an die Leute anschleichen«, sagte er.
»Wo wir gerade von Anschleichen sprechen, hast du schon was gefunden?«
»Die zentrale Datenbank der Polizei hat eine Liste von möglichen Tätern ausgeworfen – ein paar Lebenslängliche, gewalttätige Wiederholungstäter –, was immer du willst, es ist alles dabei. Und ein paar passen sogar in unser Profil.« Gormley war jetzt sarkastisch.
»Religiöse Freaks
Weitere Kostenlose Bücher