Hannah, Mari
eingeschlossen?«
Gormley nickte.
»Wie viele?«
»Ein paar – sieht aus, als hätte die Kirche einiges auf dem Kerbholz.«
»Das siehst du richtig.«
»Was hast du nur immer mit der Kirche?«
Daniels zog sich einen Stuhl heran und setzte sich, hatte auf einmal das Gefühl, sich erklären zu müssen. Vielleicht war es an der Zeit, dass sie das mal loswurde. »Als meine Mutter im Sterben lag, habe ich einen Priester dabei erwischt, wie er ihr die Sterbesakramente verabreichte, bevor sie so weit war. Ich glaube, sie hat ihn auch gehört.«
Gormley war entsetzt. »Kate, das tut mir so leid …«
»Sie ist am nächsten Tag gestorben.« Die Trauer war in Daniels’ Augen zurückgekehrt. Sie sah zu Boden und riss sich gleich darauf zusammen. »Wie auch immer, das ist längst Vergangenheit.«
»Bist du sicher?«
Sie wusste, worauf er hinauswollte. Das war nichts, was irgendwann vorbeigehen würde, sondern etwas, mit dem zu leben sie lernen musste … irgendwann.
»Willst du darüber reden?«
Sie schüttelte den Kopf und zeigte auf seinen Tisch. »Wie weit bist du gekommen?«
»Nicht so weit, wie ich gern wäre.«
»Okay, erzähl mir, was du herausfindest.« Sie konnte sehen, dass ihn irgendetwas bedrückte, und fing schon an zu bedauern, dass sie ihn mit ihren Sorgen belastet hatte. »Was ist los?«
»Bist du sicher, dass wir die Liste mit Jos Klientenliste abgleichen sollten? Wenn ich irgendwas finde, dann lässt sie das eher schuldig erscheinen, als sie zu entlasten.«
»Das Risiko gehe ich ein, Hank. Sie hat es nicht getan. Die Indizien werden das beweisen.«
»Okay. Gehst du jetzt nach Hause?«
»Soll ich noch hierbleiben?«
»Nein, geh nur. Ich bleib auch nicht mehr lange.«
Daniels fuhr nach Hause. Während sie sich Laufhosen und ein T-Shirt anzog, warf sie einen Blick auf das Trimmfahrrad in der Ecke ihres Arbeitszimmer, das dort seit Wochen einstaubte. Sie sah auf die Uhr und zog sich noch einmal andere Sachen an, dieses Mal Reflektionskleidung, die besser dafür geeignet war, draußen zu laufen, dazu eine Mütze und Handschuhe. Sie schnappte sich ihren iPod und die Ohrhörer, lief die Treppe hinunter und verließ das Haus.
Die Luft war frisch, als sie ihre Straße entlanglief, auf die Hauptstraße einbog und sich dann ein paar Minuten später nach links wandte, am Jesmond Dene entlang, einer lang gestreckten, bewaldeten viktorianischen Parkanlage, die der Stadt Newcastle Ende des neunzehnten Jahrhunderts von einem lokalen Menschenfreund, Lord Armstrong, gestiftet worden war.
Im Hellen hätte Daniels die Schönheit dieses verborgenen Schmuckstücks gesehen, das Netz aus Pfaden und Brücken, den Wasserfall, die Mühle, eingebettet in ein schmales Tal, eine wunderschöne Szenerie, die Ortsansässige und Touristen in Scharen anlockte – nur fünf Minuten und doch eine halbe Welt von der blühenden Party-Stadt entfernt.
Daniels war eine gute halbe Stunde gelaufen, als sie beschloss, wieder nach Hause zurückzukehren. An der nächsten Straßenecke blieb sie stehen und lief ein bisschen auf der Stelle. Als sie auf die andere Straßenseite blickte, stellte sie fest, dass bei Jo Licht brannte, und sah auf die Uhr – 23:04. Sie war unentschieden, ob sie klopfen sollte oder nicht. Als sie es gerade tun wollte, nahm sie drinnen eine Bewegung wahr. Kirsten Edwards kam ins Wohnzimmer, ein Glas Wein in der Hand. Sie sprach mit jemandem, der von der Straße aus nicht zu sehen war, lebhaft, lächelnd, bestens gelaunt.
Daniels entfernte sich so schnell, wie ihre zittrigen Beine sie tragen konnten.
81
Der Weg zur Arbeit war beschwerlicher als sonst. Über Nacht waren die Temperaturen gefallen, Schneematsch war zu Eis gefroren und hatte überall in der Region Verkehrsunfälle und Chaos verursacht. Gormley war schon am Platz, saß allein im Einsatzraum und hatte das Radio an. Er war extra früh aus dem Haus gegangen, hatte das Schlimmste vermieden, aber die Beamten, die außerhalb wohnten, hatten Probleme, zur Arbeit zu kommen. Als! der Verkehrsbericht zu Ende war, warf er einen Blick zum Fenster hinaus und sah den Toyota draußen vorfahren.
Er beobachtete, wie Daniels ausstieg und über den Parkplatz ging, war neugierig, ob sie mit Jo gesprochen hatte, seit sie gegen Kaution entlassen war, fragte sich, ob sie jemals wieder zusammenkämen und wenn, ob sein Boss diesmal entscheiden würde, es an die Öffentlichkeit gelangen zu lassen, oder ob sie wie zuvor ihre Karriere über ihr Privatleben stellen würde.
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