Hannah, Mari
gegeben hatte. Sie sah noch einmal auf die Notiz. Konnte das der Durchbruch sein, auf den sie so lange gewartet hatte? Sie hätte so leicht weggeworfen oder im Lauf der Zeit aus der Akte genommen werden können.
Aber das war nicht geschehen. Und das begeisterte sie.
»Na?«, sagte sie. »Was hältst du davon?«
»Meinst du, das könnte die gleiche Zeitschrift sein?«
»Hast du eine bessere Idee?«, fragte Daniels, verletzt von Jos ungläubigem Ton.
»Du weißt aber schon, dass seine Mutter ihn in den zwei Jahrzehnten, die er drin war, nie besucht hat?«
»Na also, da haben wir’s doch! Was hast du noch über Männer wie ihn gesagt? Können nicht mit Zurückweisungen fertig werden, ganz gleich, welcher Art? Wir stehen hier mit dem Rücken zur Wand, Jo. Wenn das dieselbe Zeitschrift ist – ein Geschenk seiner Mutter, die ihn nicht liebt –, ist es dann nicht möglich, dass sie über die Jahre zu einem Symbol für seinen Hass wurde?«
»Alles ist möglich, wenn es um die menschliche Psyche geht«, sagte Jo. »Aber was hat das mit Alan und den anderen zu tun?«
»Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung …« Daniels dachte einen Moment nach. »Du hast mir erzählt, dass Alan in seiner Jugend zeitweilig Evangelist war. Vielleicht kam er in der Zeitschrift vor, hat einen Artikel dafür geschrieben, wer weiß? Vielleicht Jamil Malik auch? Sein Cousin hat gesagt, er sei tiefreligiös gewesen. Was, wenn das Foto, das ich bekommen habe, aus dieser Zeitschrift ausgeschnitten war?«
»Das hat dich jetzt aber richtig in Schwung gebracht, oder?«
»Ich muss dem nachgehen, herausfinden, wer Lebendiger Glaube herausgibt, wie oft und ob Forster es während seiner Haft abonniert hatte. Gormley soll nachsehen, ob es irgendwo anders im System erwähnt wird.« Daniels stand auf und begann, auf und ab zu gehen. Sie konnte in Jos Gesicht lesen wie in einem Buch und erkannte, dass sie noch weit davon entfernt war, überzeugt zu sein. »Sieh mal, wenn ich Wachmann wäre und eine Zeitschrift in die Hände bekäme, die irgendjemandem gehört, dann würde ich Lebendiger Glaube und das Datum der Ausgabe aufschreiben. Und wenn’s ein druckfrisches oder eselsohriges Exemplar wäre, dann würde ich das auch dazuschreiben.«
»Aber nur, weil du Polly Perfect bist. Ganz zu schweigen von deiner Persönlichkeit, die … äh … lass mal sehen …« Jo begann mit den Fingern zu zählen. »Borderline obsessiv/zwanghaft, analfixiert, möglicherweise manisch depressiv, oh, und …« Sie legte den Finger an die Lippe. »Hab ich schon paranoid erwähnt?«
Daniels grinste. »Also, ich bin völlig verkorkst!«
»Und was willst du damit sagen?«
»Genau das. Ich tu das, weil es professionell ist, genau zu sein. Ein guter Wachmann würde vielleicht aufschreiben ›ein Kirchenmagazin‹, ein schlechter würde schreiben ›ein Magazin‹ … verstehst du, was ich meine?« Sie wartete nicht auf eine Antwort. »Ich bin schon beeindruckt, dass es überhaupt irgendwo erwähnt wurde, aber dank irgendeines anderen ›total verkorksten‹ Fachmanns haben wir hier vielleicht gerade mal Glück gehabt.«
Jo lächelte. »Du bist wirklich gut in diesem Polizeikram, was?«
Daniels lief rot an. Ja, aber zu welchem Preis?
Nachdem das Geschäftliche erledigt war, entschuldigte sich Jo. Daniels rief Gormley an, um den Ball ins Rollen zu bringen, und hinterließ Anweisung, dass jemand gleich am nächsten Morgen Forsters Eltern abholen sollte, um die Ermittlungen zu unterstützen. Sie beendete das Gespräch und war angenehm überrascht, als Jo mit einer offenen Flasche Wein und zwei Gläsern hereinkam.
»Kannst du noch auf ein Glas bleiben?«
Daniels konnte nicht. Sie hatte noch viel zu viel zu tun. »Ja, das wär schön«, sagte sie.
Jo legte Musik auf, ein Dixie-Chicks-Album: Home. Sie tranken etwas und unterhielten sich, ohne den Elefanten im Raum zu erwähnen, bis ihnen der Text eines ganz besonderen Liedes bewusst wurde: I believe in love.
Daniels schluckte schwer, als Jo ihr über den Tisch hinweg tief in die Augen sah. »Ich muss gehen«, sagte sie.
An der Türschwelle gaben sie sich zum Abschied einen Kuss.
Es war ein flüchtiger Moment von Intimität.
Aber es war ein Anfang.
92
Vom Fenster aus sah Daniels den Streifenwagen schnell herankommen. Zwei Beamte stiegen aus und öffneten die hinteren Türen. Forsters Eltern wirkten gebrechlich, als sie aus dem Wagen kletterten. Sie schlurften über den Parkplatz, als gingen sie zum Morgenkaffee in ein
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