Hannah, Mari
später dazu. Plötzlich von Gefühlen überwältigt, sah Daniels zu Boden, konnte nicht herausbringen, was zu sagen sie gekommen war.
David legte den Arm um seine Frau.
Er sagte nur vier Worte: »Sie haben etwas gefunden?«
Daniels nickte.
Als sie eine halbe Stunde später durch die Tür von St. Camillus trat, fühlte sie sich aus zwei Gründen unbehaglich – beide hatten mit dem Tod zu tun. Es war nicht nur die Erinnerung an die letzten Wochen des Lebens ihrer Mutter, als sie viel Zeit hier verbracht und um ihre Genesung gebetet hatte, sondern das Gebäude selbst bedeutete Schmerz und Schrecken, seit sie Sarahs und Father Simons Leichen dort gefunden hatte.
Daniels hatte oft vom Innenraum der Kirche geträumt. Sogar jetzt, wo der Altar mit einem sauberen weißen Tuch bedeckt war, konnte sie im Geist den Leichnam der jungen Sarah dort liegen sehen. Sie zuckte zusammen, als ein Priester aus der Sakristei kam, um sie zu begrüßen.
»Soll ich das machen?«, flüsterte Gormley leise.
»Nein … Mir geht’s gut.«
»Bist du sicher?«
Daniels ignorierte die Frage. Doch als der Priester durch den Gang auf sie zukam, verlor sie die Nerven und boxte Gormley mit dem Ellbogen in die Rippen.
»Schaff ihn hier raus«, sagte sie.
»Es ist seine Kirche! Darf ich fragen, wie ich das anstellen soll?«
»Mir egal … Tu’s einfach!«
Daniels beobachtete, wie er den Priester abfing – verhinderte, dass er zu ihr gelangte.
Sie wartete, bis die beiden weg waren, ehe sie den Gang entlangging und sich in eine Bank setzte.
Es war schwierig für sie, hier zu sein.
Während sie zum Kreuz aufblickte, konnte Daniels nicht vermeiden, an den verrückten Mörder zu denken, den sie jagte, den Mann, der diesen Ort in ihren Augen für immer besudelt hatte. Sie versuchte, sich nicht bei der Tatsache aufzuhalten, dass in England jede Woche irgendein psychopathischer Mörder jemanden ermordete, konnte aber nicht anders. Die Auswirkungen dieser traurigen Tatsache waren niederschmetternd. Familien, die in einem einzigen Augenblick des Wahnsinns für immer erschüttert wurden und nur noch über das Warum nachgrübeln konnten. Wie David und Elsie Short, hingebungsvolle Eltern einer einzigen Tochter – zu alt, um noch einmal von vorn zu beginnen, wenn sie es denn gewollt hätten – und für den Rest ihrer Tage in einer grässlichen Vorhölle gefangen.
Daniels spürte deren Schmerz, als wäre es ihr eigener. Jeder Mord, an dem sie bisher gearbeitet hatte, hatte ein kleines Stück von ihr zerstört. Meistens schaffte sie es weiterzumachen, die Verzweiflung zu überwinden, ihr Gleichgewicht wiederzufinden und mit neuer Entschlossenheit das Verbrechen zu bekämpfen. Ihre Arbeit war ihr Leben.
Aber wie lange noch?
Sie war vollkommen erschöpft.
Gormley schlüpfte in die Bank hinter ihr, setzte sich leise und gönnte ihr die beschauliche Stille, nach der sie sich sehnte. Er war gut darin, ihre Signale zu deuten, aber dieses Mal lag er falsch. Daniels hatte die Augen nicht geschlossen, weil sie betete. Sie versuchte nur, irgendeine Logik in dem Chaos zu finden, das in ihrem Kopf herrschte. Sie versuchte, die Verbindung herzustellen zwischen dem Doppelmord in St. Camillus und dem blutigen Handwerk des Mannes, den ihre Kollegen den Cutter nannten.
Dann riss sie die Augen auf und fuhr zu ihm herum.
»Schaff diesen Priester wieder her«, sagte sie.
»Du weißt aber auch nicht, was du willst!« Er stand auf und ging weg, kam Sekunden später mit dem Priester im Schlepptau zurück.
»Ich bin Father John, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Könnten Sie mir bitte Ihren Namen sagen?«, fragte Daniels.
Gormley und Father John sahen einander verwirrt an, dann blickten beide Daniels an, als sei sie vollkommen irre geworden.
»Ah, tut mir leid, Father«, sagte Gormley. »Detective Chief Inspector Daniels hat offensichtlich zu hart gearbeitet.«
»Ich bin sehr erfreut, Sie endlich doch noch kennenzulernen, Kate.« Der Priester machte einen Schritt auf sie zu. »Herzlich willkommen zurück in St. Camillus.«
Er hatte mit David und Elsie Short gesprochen.
Daniels wusste, dass er es gut meinte. Sein Blick war freundlich und verständnisvoll. Sie schüttelte seine Hand. »Es tut mir leid, Father. Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber ich meinte Ihren richtigen Namen.«
»Ah, ich verstehe, Fergus O’Connor. Mein Geburtsname lautet Fergus O’Connor.«
»Danke«, sagte Daniels. »Sie haben uns sehr geholfen. Komm, Hank, wir sind hier
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