Hannah, Mari
Forster sich an seine Mutter heranmachen könnte. Er hat jetzt nichts mehr zu verlieren. Wenn ich irgendwas von Psychologie verstehe, dann ist er der Typ, der mit einem Donnerschlag abtritt und nicht mit einem Winseln. Es wird Zeit, dass wir ihm mal einen Schritt voraus sind und nicht umgekehrt.«
98
Aus dem Augenwinkel nahm Daniels die Gesichter wahr, die sich zu ihnen umdrehten, alarmiert vom blitzenden Blaulicht. Die Bürgersteige zu beiden Seiten schienen mitzuschwingen, während ein stetiger Strom von Pendlern sich auf den Heimweg machte. Sie selbst sehnte sich nicht nach Hause, und Gormley sah auch nicht danach aus. Er saß still auf dem Beifahrersitz, starrte ausdruckslos ins Leere, mit den Gedanken meilenweit entfernt.
Obwohl sie versuchte, sich aufs Fahren zu konzentrieren, war doch alles, woran sie denken konnte, der Erfolg ihres Appells im Fernsehen. Vor weniger als einer Stunde hatte Daniels sich den gierigen Augen der Kameras gestellt, um Maureen Richardson noch rechtzeitig zu finden. Ihr Team hatte den Plan, an die Öffentlichkeit zu gehen, vorbehaltlos unterstützt, aber Gormley zufolge waren alle sehr nervös gewesen, als sie den Fernseher einschalteten. Nach der Sendung hatte beunruhigende Stille in der Einsatzzentrale geherrscht, bevor die Telefone wie wild zu klingeln begannen.
Die Mordkommission hatte eine lange Nacht vor sich.
Daniels dachte an das Sondereinsatzkommando und stellte sich die Kollegen im Schutz der Dunkelheit vor dem Bungalow von Forsters Eltern vor: geduckt, die Waffen im Anschlag, warteten sie auf ihr Zeichen. Das Bild war so lebendig, dass sie sich beinahe selbst sehen konnte, wie sie den Weg zum Haus entlangging und sich fragte, welcher Schauplatz der Verwüstung sie im Inneren erwartete. Sie kannte Forsters Werk schon aus eigener Anschauung und wusste, dass es grausam sein würde, wenn er vor ihr dort gewesen war.
Eine Funkmeldung unterbrach diesen ernüchternden Gedanken: »Foxtrott in Position, Ma’am. Erwarten weitere Anweisungen.«
Daniels sprach in ihr Funkgerät: »Halten Sie sich in Bereitschaft. Voraussichtliche Ankunftszeit in zehn Minuten.«
Das Funkgerät erstarb.
Daniels bog vom zentralen Motorway ab und fuhr gen Norden Richtung Flughafen. Als sie ein paar Meilen weiter nach Ponteland hineinkam, musste sie hinter einer langen Schlange von Fahrzeugen abbremsen, die sich an einer Ampel stauten. Die Fahrer waren so vernünftig, auf den Bürgersteig zu fahren, um sie durchzulassen. Doch plötzlich schrie Gormley auf.
Er sprang beinahe aufs Armaturenbrett und schaltete Sirene und Blaulicht aus. Die Dringlichkeit in seiner Stimme hatte den gewünschten Effekt. Daniels bremste so scharf, dass der Wagen beinahe mit dem Heck abhob, was sie beide nach vorn schleuderte, und dann wieder zurück, als das Fahrzeug vibrierend zum Halten kam.
»Sag nicht, du hast ihn gesehen.«
»Nein, aber einen anderen Drecksack.«
»Ich hoffe für dich, dass du einen guten Grund hast, Hank. Das Sondereinsatzkommando wartet.«
»Das ist doch nicht zu fassen!«, rief Gormley. »Sieht aus, als hätten wir uns in Maxwell geirrt. Du hattest wohl doch Recht, ihm eine zweite Chance zu geben.«
Daniels folgte seinem Blick, als er sich den Hals verrenkte, um aus dem Fenster zu sehen. Dann entdeckte sie zwei vertraute Gestalten die Straße entlanggehen, so ins Gespräch vertieft, dass sie niemanden um sich, herum wahrnahmen. DS Robson bahnte sich seinen Weg durch eine Gruppe vor dem Diamond Pub herumlungernder Jugendlicher. Er riss die Tür auf, trat zurück und ließ Assistant Chief Constable Martin vorgehen, ehe er die Jugendlichen anschnauzte und sie aufforderte, sich zu verziehen.
Daniels war enttäuscht bei dem Gedanken, dass er Martins Schnüffler sein könnte. Sie dachte zurück und fragte sich, was wohl der wahre Grund dafür war, dass er keinen Vaterschaftsurlaub genommen hatte. Auch wenn sie zugeben musste, dass sie in letzter Zeit ein lausiges Beispiel abgegeben hatte, so verlangte sie dennoch Loyalität von ihren Leuten. Sie war persönlich getroffen davon, dass einer ihrer Protegés so wenig davon an den Tag legte.
Loyalität.
Ihre größte Stärke?
Oder ihre Achillesferse?
Wahrscheinlich von beidem etwas, dachte sie. Es bestand kein Zweifel, dass die Ermittlungen zu Alan Stephens’ Tod ihre eigenen Loyalitäten in den letzten Monaten auf den Prüfstand gestellt hatten. Der Fall hatte sie beinahe zerrissen. Aber würde sie unter denselben Umständen wirklich etwas
Weitere Kostenlose Bücher