Hannah, Mari
Mrs. Collins antwortete, dass sie sie kaum kannte. Sie hatte sie zuletzt am Freitag den 6. November gesehen, als sie in den frühen Morgenstunden aus einem Taxi gestiegen war.
Nur ein paar Stunden nach den tödlichen Schüssen. Warum hatte sie seitdem niemand mehr gesehen?
»Können Sie die Zeit etwas präziser eingrenzen?«
Mrs. Collins dachte nach, bevor sie antwortete: »So um Viertel vor zwei. Ich habe das Nachtschichtprogramm im Radio gehört, wissen Sie, dann habe ich ein bisschen gelesen – einen alten Roman von PD James, Tod eines Sachverständigen, den ich am Tag zuvor auf einem Flohmarkt gekauft hatte. Deshalb weiß ich, wie viel Uhr es war.«
Gormley und Daniels schmunzelten, amüsiert über den Titel der Sendung. Keiner von ihnen hatte je davon gehört – sie waren zu beschäftigt mit der echten Nachtschicht –, aber beide hatten das Buch gelesen.
»Sie sind also ein Fan unseres Kollegen Commander Adam Dalgliesh?«, fragte Gormley.
»O ja«, sagte Mrs. Collins. »Ein wahrer Gentleman, genau wie mein verstorbener Mann.«
Daniels wollte weiterkommen. »War Mrs. Soulsby allein?«
Mrs. Collins nickte. »Ich schlafe nicht mehr gut, seit mein Jack gestorben ist. Ich habe gehört, wie ein Auto anhielt, und habe sie aus dem Taxi steigen sehen. Das war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe. Ist nebenan alles in Ordnung?«
»Kein Grund zur Sorge«, sagte Gormley.
Sie dankten Mrs. Collins für die Informationen und machten sich auf den Weg zurück ins Präsidium, mit einem Zwischenstopp bei Dene’s Deli in der Jesmond Road, um etwas Anständiges zu essen zu besorgen – die besten Sandwiches weit und breit, Daniels Meinung nach.
Zurück im Büro holten sie sich einen Kaffee und widmeten sich ihrem Mittagessen: Daniels der italienischen Salami und den getrockneten Bio-Tomaten und Gormley dem »Spezial«, den er sich ausgesucht hatte, Letzte Mango in Paris mit Krabbencreme, Thunfisch und Mango-Chutney. Sie waren gerade mit Essen fertig, als DC Brown den Kopf in die Tür steckte. Gormley hatte ihn gebeten, Jo über ihre Arbeitgeber ausfindig zu machen, aber bisher waren seine Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Der Mann vom Innenministerium, mit dem er Kontakt aufgenommen hatte, hatte sich geweigert, irgendwelche Detailinformationen herauszugeben, ohne vorher mit seinem Vorgesetzten gesprochen zu haben. Brown hatte eine Telefonnummer hinterlassen, unter der man ihn zurückrufen konnte.
»Verständlich, nehme ich an«, sagte Daniels. »Wenn man ihre Arbeit bedenkt, geben die sich wohl zu Recht etwas zugeknöpft. Sie hat da ja ein paar ziemlich unangenehme Typen als Klienten. Der eine oder andere würde mit Sicherheit einiges springen lassen für ein paar Angaben aus ihrem Privatleben.«
Brown nickte zustimmend. »Das gibt dem Mann aber noch nicht das Recht, mich wie einen Idioten zu behandeln.«
»Hat er das?« Brown nickte. »Gut, wir werden sehen, was wir da tun können.«
In dem Moment klingelte ihr Telefon.
»Das wird er sein, jede Wette«, sagte Brown. »Ich hab ihm Ihre Durchwahl gegeben.«
Daniels nahm ab. »Mordkommission.«
Der Beamte des Innenministeriums fragte nicht, wer sie war, noch machte er sich die Mühe, sich selbst vorzustellen. Er verlangte lediglich zu wissen, warum die Polizei hinter einer ihrer Mitarbeiterinnen herschnüffelte. Was Jo Soulsby denn getan hätte? Ob man eigentlich wüsste, dass sie eine hoch angesehene Expertin auf ihrem Gebiet war?
Es wären Datenschutzrichtlinien einzuhalten … bla, bla, bla.
Daniels verdrehte kopfschüttelnd die Augen und gab Gormley und Brown zu verstehen, dass es in der Tat jemand vom Innenministerium war. Sie hielt den Hörer ein Stück weit von ihrem Ohr entfernt, während der Mann mit seiner Tirade fortfuhr. Er sprach so laut, dass sie jedes Wort verstehen konnten.
Schließlich hielt er inne, um Atem zu holen.
»Haben Sie eigentlich irgendeine Vorstellung davon, mit wem Sie sprechen?«, fragte Daniels.
»Nun, nein, ich nehme an …«
»Dann geben Sie gefälligst Ruhe und verschwenden Sie nicht länger meine kostbare Zeit.« Sie knallte den Hörer auf, was ihr einen spontanen Szenenapplaus ihrer beiden Kollegen einbrachte. »Angeberischer kleiner Scheißer!«
Sie standen auf und folgten Brown zurück in die Einsatzzentrale. Während Gormley kurz ausscherte, um auf die Toilette zu gehen, betrachtete Daniels die Fotos, die am Whiteboard hingen: Stephens, Monica, James … Jo. Wo zum Teufel steckst du?
Daniels
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