Hannah, Mari
Blick aus dem Panoramafenster auf den Tyne war genau der gleiche wie der aus dem Fenster am Tatort ein Stockwerk tiefer. Auf dem kleinen Tisch vor dem Fenster standen noch die Überreste eines leichten Mittagessens. Es war für eine Person gedeckt.
»Bitte nehmen Sie Platz.« Wood nahm ihr Weinglas. »Möchten Sie auch einen Schluck?«
»Nein, für mich nicht.« Daniels blieb stehen und kam direkt zur Sache. »Es tut mir leid, dass wir Sie am Wochenende stören müssen, aber ich wüsste gern, in welcher Beziehung Sie zu Alan Stephens standen.«
»Wir … Wir waren Nachbarn, mehr nicht.«
»Mehr nicht? Sie waren sein Gast bei dem Wohltätigkeitsdinner, oder etwa nicht?«
»Meine Kanzlei spendet für viele Organisationen, DCI Daniels.«
»Hat Ihnen der ACC geraten, das zu sagen?«
Wood fuhr zornig auf; Daniels hatte offensichtlich einen wunden Punkt getroffen: »Wenn Sie etwas mit dem ACC auszutragen haben, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie das direkt mit ihm abmachen würden.«
»Mit Vergnügen.« Daniels registrierte, dass die Frau jetzt sichtlich nervös war. Sie zwang sich zu einem Lächeln, nahm die Weinflasche vom Couchtisch und füllte ihr Glas auf. »Entschuldigen Sie, wenn ich so direkt frage, aber hatten Sie Sex mit Alan Stephens an dem Abend, an dem er starb?«
»Die Frage ist unverschämt.«
»Aber sie verlangt auch nach einer Antwort.«
»Dann nein. Nicht dass Sie das in irgendeiner Weise etwas anginge.«
»Sind Sie sicher?«
Wood trank einen Schluck von ihrem Wein und sah Daniels über das Glas hinweg an. »Ich denke schon, dass ich mich daran erinnern würde.«
»Bestünde die Möglichkeit, dass Sie sich freiwillig einem DNA-Test unterziehen?«
»Wollen Sie mich vielleicht verhaften?« Wood sah sie verächtlich an. Daniels hatte nichts gegen sie in der Hand, und das wusste sie. »Dann haben Sie Ihre Antwort.«
»Als Sie aus dem Weston zurückkamen, haben Sie da irgendetwas Ungewöhnliches gehört oder gesehen?«
»Zufälligerweise ja. Es gab einen lauten Knall – etwa um Mitternacht herum. Er schien aus dem Inneren des Gebäudes zu kommen.«
»Haben Sie versucht herauszufinden, was das war?«
»Sehe ich so dumm aus?«
»Sie haben es nicht für nötig gehalten, das schon früher zu erwähnen?«
Wood hob ihr Glas, trank noch einen Schluck Wein und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Ich hätte es nicht beschwören können. Es war immerhin Bonfire Night. Es war überall laut.«
»Ich verstehe. Gut, vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben.« Daniels griff in die Tasche, zog eine Visitenkarte heraus und gab sie ihr. »Wenn Ihnen noch etwas einfällt, würde ich es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie mich anrufen.«
Sie verließ das Gebäude und fand Gormley an den Toyota gelehnt, der direkt vor Court Mews im Halteverbot stand. Als er sie näher kommen sah, warf er seine Zigarette auf den Bürgersteig und trat sie mit dem Fuß aus. Daniels warf ihm einen bösen Blick zu, hob sie auf und gab sie ihm zurück.
»Hast du’s geschafft, mit Wood zu sprechen?«, fragte er.
»Wer weiß, wozu das gut war, schmierige, eingebildete Kuh.«
»Also fandest du sie sympathisch.«
»Und lügen tut sie auch. Zu unserem Glück nicht besonders gut.«
Gormley untersuchte seinen Zigarettenstummel auf Glutreste und steckte ihn in die Tasche.
Sie stiegen in den Wagen.
»Lass uns noch mal an Jos Haus vorbeifahren«, sagte Daniels.
27
Sie parkten direkt vor dem Gebäude. Im Nachbarhaus schoben sich die Vorhänge einen Spaltbreit auseinander, und eine ältere Frau lugte hinaus. Daniels bemerkte den Neighbourhood-Watch-Aufkleber am Fenster.
Sie stiegen aus und gingen zu Jos Haustür. Gormley drückte auf die Klingel und trat einen Schritt zurück.
Sie warteten. Als niemand aufmachte, wies Daniels auf das Nachbarhaus.
»Versuchen wir’s mal nebenan«, sagte sie.
Die ältere Frau hatte sie vom Fenster aus kommen sehen. Sie öffnete die Tür, ließ die Sicherheitskette aber eingehängt. Sie war eine gut aussehende ältere Dame um die achtzig, aufgeweckt, mit festem Blick und lockigem, weißem Haar.
»Mrs. Collins?« Daniels hielt ihren Ausweis hoch. »Könnten wir kurz mit Ihnen sprechen?«
Die Kette wurde gelöst. »Ja, ja. Ihre Leute waren auch schon hier. Ich bin alt, nicht dumm. Ich weiß, wer Sie sind.«
Daniels lächelte.
Die Frau führte sie in ihr Wohnzimmer und setzte sich in einen Ohrensessel. Daniels fragte, wie gut sie ihre Nachbarin, Jo Soulsby, kannte.
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