Hannah, Mari
verschiedenen Bezirken erkennen ließen. »Sieht ein bisschen aus wie ein mexikanisches Patt, findest du nicht?«, sagte er freundlich.
Daniels war das Ganze etwas peinlich. »Hank meinte schon, das sei nicht unser Zuständigkeitsbereich, aber die Zentrale wollte nichts davon hören.«
»Hässliche Geschichte.« Naylor blickte an ihr vorbei zum Toyota. Er sah Gormley an und hob den Daumen. Gormley antwortete mit einem Kopfnicken und machte es sich in seinem Sitz bequem, um eine Mütze des dringend benötigten Schlafs zu nehmen. »So was haben wir hier nicht oft. Ich hab keine Zeugen, kein Motiv, nicht mal eine verdammte Idee, wo ich anfangen soll.«
Daniels nickte: »Kommt mir bekannt vor.«
»Betrachte dich als aus dem Zeugenstand entlassen, Kate. Soll ich dich später anrufen?«
»Ja, mach das.« Sie wollte schon gehen, als Naylor sagte: »Ach, noch was.«
Daniels drehte sich um.
»Falls dir zufällig Leichen mit einer Andachtskarte im Mund begegnen, sagst du uns kurz Bescheid, ja?«
Daniels spürte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich, während die Erinnerung an Father Simon mit der Andachtskarte in der Faust lebendig wurde. »Zählt auch ein Priester?«
»Bitte?«
»Erinnerst du dich an den Doppelmord in Corbridge letzte Weihnachten?«
Naylor nickte. »Wie könnte ich das vergessen.«
»Der Priester hatte eine Andachtskarte in der Hand.«
Naylor biss sich auf die Lippe. »Ja, na ja, das ist doch ziemlich normal, oder? Handwerkszeug sozusagen. Man sollte doch erwarten …«
»Halt mich auf dem Laufenden, Ron, ich glaube nicht an Zufälle.«
»Meinst du das ernst?«
»Und ob.«
Daniels stieg wieder ein. Sie blieb noch einen Moment lang sitzen, besah sich die Gesichter der Schaulustigen hinter dem Absperrband und fragte sich, ob ein Mörder unter ihnen sein könnte. Dann fuhr sie los. Sie wünschte sich, hoffte wider alle Hoffnung, dass Naylors Fall irgendwie mit dem Doppelmord in Verbindung stand, der ihr immer noch Albträume bereitete. Was, wenn die Andachtskarte von Father Simons Leiche ein Schlüssel zur Identität des Mörders war und nicht nur der Trost seiner dunkelsten Stunde? Sie machte sich im Geist eine Notiz, Naylor anzurufen, wenn er am Tatort fertig war.
Gormley ließ sich von ihrer Erregung nicht anstecken. Er saß ruhig neben ihr und studierte die Liste, die Carmichael geliefert hatte.
»Kennst du eine Frau namens Felicity Wood?«, fragte er und sah auf.
»Sollte ich?«
»Sie ist Rechtsverdreher bei Abercrombie.«
»Kenn ich nicht. Warum?«
»Dieser Liste zufolge saß sie bei dem Dinner mit Martin und Stephens zusammen.«
»Ach, echt?«
»Der Name kommt mir bekannt vor«, sagte Gormley. »Ich weiß nur noch nicht woher.«
Daniels verließ die Wohnsiedlung, gab Gas und fuhr zurück in Richtung Newcastle auf der kurvenreichen Landstraße, die sich durch eine üppig grüne Landschaft wand, begrenzt auf einer Seite von wuchernden Brombeerhecken, auf der anderen gesäumt von Trockensteinmauern. Teilweise waren die Steine herausgefallen und gaben den Blick auf das unendlich erscheinende offene Weideland frei. Die kahlen Äste der Bäume trafen sich über der Mitte der Straße und formten einen Baldachin, durch den das Sonnenlicht blitzte.
Sie bremste ab, als sie das Ende einer Karawane von Autos erreichte: ein Traktor, der Schlamm von gigantischen Reifen abwarf; ein Bus mit einem einzigen Passagier an Bord; ein ungeduldiger Fahrer eines blauen Transit, der ständig hin und her kreuzte, weil er überholen wollte – und Daniels irritierte, die das Schlusslicht bildete. Sie fragte sich, ob der Verrückte eigentlich jemals seine eigene Sterblichkeit bedachte, wenn er den entgegenkommenden Verkehr in Gefahr brachte.
»Mein Gott!«, sagte Gormley.
Daniels nahm kurz den Blick von der Straße, um ihn anzusehen. »Was?«
»Ich weiß, wer das ist.«
»Die Anwältin?«
Gormley grinste: »Sie wohnt in Court Mews.«
»Bist du sicher?«
»Jap, ich hab ihren Namen heute Morgen auf der Aktionsliste gesehen.«
»Dann sollten wir ihr vielleicht einen Besuch abstatten.«
Daniels schaltete das Blaulicht ein und setzte den Blinker.
26
Felicity Wood war eine Frau, die versuchte, mit ihrer Kleidung Überlegenheit zu demonstrieren. Sie trug eine gut geschnittene dunkelblaue Hose, eine naturweiße Seidenbluse und ein paar hochhackige, vorne spitz zulaufende Schuhe aus Kalbsleder. Ihr Outfit kündete lautstark von einem üppig bestückten Gehaltskonto, genau wie ihre hübsche Wohnung. Der
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