Hannah, Mari
das?«
»Sie war nicht die Erste. Wahrscheinlich auch nicht die Letzte. Überrascht mich, dass Sie das noch nicht wussten.« James sah auf seine Uhr. »Wie lange wollen Sie mich hier noch festhalten?«
»Ich habe Ihnen gesagt, dass Sie jederzeit gehen können.«
»Prima! Dann geh ich mal. Mein Bruder wartet bestimmt schon.«
James’ Stuhl schrammte laut über den harten Holzboden, als er aufstand. Daniels und DS Robson taten es ihm gleich. Sie versuchten nicht, ihn aufzuhalten. Erst als er schon an der Tür war, stellte Robson eine letzte Frage.
»Eins noch, James.« Er wartete, bis der junge Mann sich umgedreht hatte. »Wo waren Sie genau in der Nacht des fünften November, beziehungsweise in den frühen Morgenstunden des sechsten?«
»In Sheffield an der Uni, das können Sie nachprüfen.«
Daniels nickte. »Das werden wir.«
James ging zur Tür hinaus, mit hängenden Schultern und eingezogenem Kopf. Daniels trat ans Fenster, beobachtete, wie er kurz darauf das Gebäude durch eine Seitentür verließ. Von ihrem Standpunkt aus konnte sie Tom Stephens neben dem Außenzaun warten sehen. Er lehnte an einem alten VW und rauchte eine Zigarette. Als er seinen Bruder erblickte, nahm er einen letzten Zug und schnippte den Zigarettenstummel in die Luft. Er landete auf dem Dach eines Streifenwagens, rote Funken flogen auf. Sie stiegen in den VW.
Daniels drehte sich zu Robson um. »Begleiten Sie mich zum Auto und sagen Sie mir, was Sie denken.«
Sie verließen das Gebäude durch dieselbe Tür wie James und kamen noch gerade rechtzeitig auf den Parkplatz, um den VW in eine Seitenstraße verschwinden zu sehen.
»Na ja, da herrscht nicht gerade überschwängliche Liebe«, sagte Robson. »Zwischen Vater und Sohn, meine ich. Der Jüngere ist ganz besonders verbittert.«
»So sind Familien nun mal. Einfach eine Zumutung, wenn Sie mich fragen«, sagte Daniels, während ihre Gedanken kurz zu ihrem eigenen Vater zurückwanderten, nach dessen Respekt sie sich sehnte und auch dachte, dass sie ihn verdient hätte. Heutzutage war schwer vorstellbar, dass es einst eine Vater-Tochter-Beziehung zwischen ihnen gegeben hatte. Soweit es sie betraf, war das sein Verlust.
Robson sagte kein Wort mehr, weil er nicht wusste, wie er auf Daniels’ Sarkasmus reagieren sollte. Sie waren an ihrem Wagen angekommen. Sie griff in die Tasche, nahm den Schlüssel heraus, drückte den Knopf. Die Schlösser klackten, und sie stieg ein, ließ die Tür noch offen.
Robson beugte sich hinein, eine Hand am Autodach.
»Glauben Sie, James hat bemerkt, dass er Jo gerade ein Motiv geliefert hat?«
Daniels sah finster brütend durch ihn hindurch.
Robson ruderte etwas zurück. »Ich weiß, wir denken nicht, dass sie etwas damit zu tun hat, aber es ist doch möglich, dass sie in die Sache verwickelt ist. Wir alle sind zu manchem fähig, wenn die Umstände günstig sind. Sie hätte jemanden anheuern können, der die Drecksarbeit für sie erledigt. Sehen wir den Dingen doch ins Auge, sie hat Kontakt zu einigen richtig schweren Verbrechern. Leuten, die für einen Schuss Heroin irgendwem die Kehle durchschneiden würden.«
»Kann aber auch sein, wir bellen den falschen Baum an, und das Ganze hat überhaupt nichts mit der Familie zu tun. Was ich übrigens von Anfang an gesagt habe.«
»Sie haben Recht. Weiß auch nicht, wie ich darauf gekommen bin.« Robson wurde rot. »Wo wir gerade über Familie sprechen, Boss, ich wollte Sie noch was fragen. Was würden Sie davon halten, Simons Taufpatin zu werden? Irene und ich würden uns sehr darüber freuen.«
Daniels’ Stimmung erfuhr einen deutlichen Umschwung. Es hatte Zeiten gegeben, da wäre sie hocherfreut über sein Angebot gewesen – ja, hätte sich sogar geehrt gefühlt, doch das war vorbei. Sie wollte ihn nicht kränken; aber sie wollte noch weniger Taufpatin werden.
»Es tut mir leid, Robbo.« Sie ließ den Motor an. »Ich praktiziere derzeit keine Religion. Nicht mal für Sie.«
37
Daniels wandte sich von den grausamen Bildern an der weißen Tafel ab. Die Wand mit den Mordfotos. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie Robson am Abend zuvor so barsch abgefertigt hatte, und wollte gerade ein paar versöhnliche Worte mit ihm wechseln, als DC Carmichael sie zu sich rief, um einen Blick auf das zu werfen, was auf dem Fernsehbildschirm des Einsatzraums gezeigt wurde.
»Sehen Sie sich das mal an.«
Carmichael hörte sich begeistert an und sah auch so aus. Ihre Augen klebten förmlich am Bildschirm, ihr
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