Hannah, Mari
haben musste. Sie stand einen Moment lang da und musterte das Zimmer – die Bettwäsche, den Stuhl, den Krug mit warmem Wasser. Man sah ihr an, dass sie sich unwohl fühlte, als berge allein ihre Anwesenheit in diesem Gebäude bereits die Gefahr, sich irgendeine schreckliche Krankheit einzuhandeln. Schließlich trat sie ans Bett und legte Jo die Blumen in den Schoß.
Jo fühlte sich richtig hässlich im Vergleich zu der lieblichen Schönheit, die sie jetzt umarmte und ihre Nase mit dem berauschenden Duft von Agent Provocateur erfüllte. Dann, über Kirstens Schulter hinweg, erblickte sie Daniels, die sich nervös draußen herumtrieb. Ihre Blicke trafen sich kurz, dann deutete Daniels ein Winken an und ging fort. Jo brach in Tränen aus, weil sie wusste, dass Daniels alles riskiert hatte, um sie zu besuchen.
Kirsten missdeutete ihren Ausbruch, trat zurück und setzte sich auf den Stuhl neben dem Bett. Sie reichte Jo ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und wartete, bis sie sich wieder gefasst hatte. »Du Ärmste«, sagte sie. »Aber um ehrlich zu sein, mich machen Krankenhäuser auch immer ganz fertig.«
»Ich hatte kaum eine Wahl.« Jo tupfte sich die Augen ab. Am liebsten wäre sie aus dem Bett gesprungen und losgerannt, um Daniels zu erwischen, ehe sie den Fahrstuhl erreichte. Sie wollte ihr sagen, wie sehr sie ihre Unterstützung schätzte, denn vielleicht war dies das letzte Mal, dass sie herkam. Aber Jo wusste, dass sie es in ihrem gegenwärtigen Zustand kaum weiter als bis zur Tür schaffen würde. Also setzte sie ein tapferes Gesicht auf und schnupperte an den Blumen. »Die sind wunderschön, Kirsten. Vielen Dank.«
Baker lugte durch die Tür, suchte Kirstens Blick und tippte auf die Uhr.
Kirsten zog eine perfekt geformte Augenbraue hoch. »Der Obergruppenführer sagt, ich hätte fünf Minuten, maximal. Sie meint, du wärst vollkommen übermüdet und bräuchtest deine Ruhe. Anscheinend eine Anweisung des Arztes.«
Jo raffte sich zu einem schwachen Lächeln auf. »Wenn du die schon schlimm findest, dann solltest du mal die Nachtschwester kennenlernen.«
Kirsten versuchte, ihren Kummer über Jos Verletzungen zu überspielen, doch es gelang ihr nicht recht. »Ich kann’s immer noch nicht fassen«, sagte sie, während sie jeden Bluterguss und jede Schramme in Jos Gesicht musterte. »Du sahst so fantastisch aus am Donnerstag.«
Jo sagte einen Moment lang gar nichts.
»Du hast mich am Donnerstag gesehen?«
59
Die Weinbar war gut gefüllt mit feiernden Gästen, die alle gleichzeitig redeten. Der Raum war geschmackvoll ausgeleuchtet, was in Verbindung mit dem Holzfußboden eine mediterrane Atmosphäre schuf. An den Wänden hingen Cover längst vergessener Langspielplatten. Es gab reichlich niedrige Sitzgelegenheiten und auch Barhocker, die alle besetzt waren.
Die Kellnerin, die hinter der Bar hervorkam, musste Kirsten Edwards sein. Daniels war sicher, dass es dieselbe Frau war, die sie früher am Tag an Jos Bett gesehen hatte, nur dass jetzt ihr Haar hochgesteckt war und sie Jeans, eine Seidenbluse und hochhackige Stiefel trug. Daniels fragte sich, ob Jo und diese beeindruckende Frau früher einmal ein Paar gewesen oder womöglich jetzt eines waren.
»Ms. Edwards?«, sagte Daniels.
Die Kellnerin nickte, ließ ihren Blick über die Bar schweifen und hob den Finger. »Eine Sekunde …« Ihre Stimme driftete weg, als sie sah, dass eine Frau bestellen wollte. Sie sprach kurz mit dem Barmann, bevor sie mit ausgestreckter Hand auf Daniels zukam. »Sie müssen Kate Daniels sein.«
»Ja, das bin ich.« Daniels verschwendete keine Zeit. »Ich nehme an, Sie wissen, warum ich hier bin?«
»Jo hat mir alles erklärt. Kann ich Ihnen etwas anbieten? Ein Glas Wein, einen Softdrink, Kaffee?«
Daniels schüttelte den Kopf und fragte sich, ob »alles« wirklich alles bedeutete oder ob es nur so dahergesagt war, und klopfte auf den Busch: »In welcher Beziehung stehen Sie genau zu ihr?«
Kirsten war etwas verblüfft. »Ist das denn wichtig?«
Daniels ließ das Thema fallen. »Können Sie bestätigen, dass Sie beide am Donnerstagabend zusammen waren?«
»Wir sind zusammen weggegangen, ja. Ich, Jo und vier Freundinnen von der Universität. Sie hatte erst keine große Lust darauf, solche Treffen sind ja nicht so ihre Sache. Wir beide sehen uns hin und wieder, aber mit den anderen hatten wir kaum mehr Kontakt. Sie wissen ja, wie das ist.«
Daniels wusste sehr genau, wie das war. Sie hatte mit keinem einzigen ihrer
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