Hannah, Mari
wahren Täter abgelenkt worden.
»Glaubst du, es wird noch mehr geben?«, fragte Gormley.
»Fotos?« Daniels seufzte schwer. »Wer weiß das schon? Ich hab keine Ahnung, was ich davon halten soll.«
»Du hörst dich an, als könntest du was zu trinken gebrauchen!«
»Mein Gott! Warum glauben Männer immer, etwas zu trinken wäre die Lösung all ihrer Probleme?«
Daniels sah wieder auf den Fernseher. Sie hatte nicht so harsch zu Gormley sein wollen. Er war in den letzten Wochen ihre Stütze gewesen, hatte klaglos ihre Anrufe abgefangen, hatte ihr zur Seite gestanden, während sie im Kreis gerannt war, während sie versuchte, Indizien zu finden, die Jos Unschuld bewiesen.
Er lachte leise. »Sprichst du von mir oder von Männern im Allgemeinen?«
»Du, mein Vater, Bright … Muss ich noch mehr sagen?« Daniels bedeckte die Muschel mit der Hand, als sich ein Schluchzen in ihrer Kehle verfing.
»Kate? Was ist los?«
Schweigen.
»Abgesehen vom Offensichtlichen«, setzte Gormley nüchtern hinzu.
»Stella …« Daniels brach ab, konnte ihre Trauer nicht länger für sich behalten.
Es entstand eine kurze Pause, bis Gormley verstand.
»Mein Gott! Warum hast du nichts gesagt?«
»Er ist am Boden zerstört, Hank. Vollkommen verzweifelt.« Sie sah auf den Block auf ihren Knien, die zusammengeknüllten Briefe auf dem Fußboden, erinnerte sich an Jos Vernehmung durch Bright – zwei Menschen, die zu denen gehörten, die ihr am liebsten waren, die beide von Ereignissen der letzten Wochen aus dem Gleichgewicht gebracht worden waren. Wo sollte das alles noch enden?
Sie drückte einen Knopf, und das Telefon erstarb.
69
Jeder hat seine Grenzen, und Daniels hatte ihre beinahe erreicht. Sie versuchte, sich auf den Papierkram zu konzentrieren, aber es gelang ihr nicht recht. Ihre Gefühle waren in Aufruhr, ihr Besuch bei Jo nur noch wenige Stunden entfernt. Und dann waren da auch noch David und Elsie Short, die sie besuchen musste. Ihren Vater? Bright, wenn sie es schaffte.
Sie musste es schaffen. Was blieb ihr anderes übrig?
An die letzten Wochen erinnerte sie sich nur verschwommen: Stellas Begräbnis gefolgt von zwei weiteren schweren Fällen, mit denen das Dezernat beschäftigt war, ihr erster Einsatz als Superintendent während Brights Sonderurlaub wegen des Trauerfalls, zusätzlich zu ihrem persönlichen, leidenschaftlichen Feldzug, die Anklage gegen Jo zu widerlegen.
Ein lautes Klopfen ließ sie zusammenzucken.
Als Robson ihr Büro betrat, erkannte sie sofort, dass er einen Kater hatte. Seine Augen sahen aus wie Pisslöcher im Schnee, sein Hemd verlangte dringend nach zehn Minuten auf dem Bügelbrett. Sie hätte schwören können, dass er es gestern schon angehabt und gar nicht geschlafen hatte. Das war überhaupt nicht seine Art, und sie machte sich Sorgen um ihn. Wenn sie darüber nachdachte, sah er schon seit Wochen ziemlich unglücklich aus. Aber sie hatte weder Zeit noch Lust, diesem Gedanken nachzugehen. Sie gab ihm eine Liste mit Dingen, die zu erledigen waren, und sagte ihm, dass sie den Rest des Tages nicht zu erreichen wäre, dann verließ sie das Büro.
Bei ihrer Ankunft am Croxhill Remand Centre eine Stunde später hatte sie das Gefängnis mit einem Gefühl von Beklommenheit betreten, ohne zu ahnen, dass sie zehn Minuten darauf wieder hinausgehen würde. Oder besser gesagt, hinaus rennen.
Was immer sie an Erwartungen gehabt haben mochte, bevor sie Jo besuchte, sie hätte nie, niemals voraussehen können, was dann in dem düsteren Besucherzimmer geschehen war.
Als sie nach unverhofft kurzer Zeit wieder in ihren Toyota stieg, den Motor startete und vom Parkplatz fuhr, wollte sie nur noch so schnell wie möglich weg von diesem Ort.
Hätte sie Vollgas geben können, hätte sie es getan. Aber wegen eines längeren Kälteeinbruchs waren die kurvige Landstraße sowie die umliegenden Felder und Wiesen weiß von Schnee. So kroch sie beinah im Zeitlupentempo die Straße entlang, und Jos leise Stimme hallte noch immer in ihrem Kopf. »Es ist zu spät, um das wiedergutzumachen, Kate. Du kriegst keinen zweiten Valentinsgruß von mir. Das wollte ich dir nur direkt ins Gesicht sagen.«
Sobald Jo ihre Ansprache beendet hatte, war sie aufgestanden und hatte sich von einer Vollzugsbeamtin wegführen lassen. Es war alles vorher geplant gewesen. Jo war nicht einmal ins Stocken gekommen, geschweige denn, dass sie geweint hätte. Ihre Worte hatten Daniels getroffen wie ein tödlicher Stoß mit dem Messer.
Sie hat es
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