Hannah, Mari
praktisch kalt ist. Und wenn dich das beleidigt, dann tut’s mir leid. Aber so ist das nun mal. Du hast keinerlei Beweise dafür, dass die Andachtskarte in Father Simons Hand irgendwas mit denen von den anderen beiden Morden zu tun hat, und so lange du …«
»Das akzeptiere ich ja, Chef. Aber trotzdem schaffen David und Elsie das kaum. Wie sollen sie denn weiterleben, in dem Wissen, dass der Mörder ihrer Tochter noch frei herumläuft? Alles, worum ich bitte, ist, mir die Beweise noch einmal ansehen zu dürfen, zu meiner eigenen Beruhigung und zu ihrer. Was kann das schon schaden?«
»Ich schätze deine Anteilnahme sehr, wirklich. Aber wir haben bei diesem Fall über Monate alle Ressourcen ausgeschöpft – sowohl personell als auch finanziell. Also, sofern nicht wirklich neue Indizien auftauchen …«
»Wie kannst du es nur wagen!«, sagte Daniels laut, auf die seine Bemerkung wie ein rotes Tuch auf einen Stier gewirkt hatte.
Andere Gäste drehten sich um.
Bright beugte sich vor und senkte seine Stimme: »Es tut mir leid, Kate, du musst verstehen, dass das nicht persönlich gemeint ist, das ist nur die harte Realität eines Chefermittlers. Etwas, woran du dich gewöhnen musst, und zwar besser früher als später.« Daniels wusste, dass er Recht hatte, aber die Shorts hatten ihr erzählt, dass die Trauer über ihren Köpfen zusammengeschlagen war wie eine gigantische Welle, als sie es am wenigsten erwartet hatten, und in ihrem Kielwasser einfach alles weggespült, sie nackt und bloß zurückgelassen hatte – genau wie sie sich jetzt fühlte. Bright auch, wenn er es sich denn eingestehen würde.
Warum war er nur immer so verdammt sturköpfig?
Warum war sie es?
»Sie haben mich praktisch angefleht, Chef. Ich dachte, dass du vor allen anderen ihren Verlust nachempfinden könntest, gerade heute.«
Bright hob die Hände, zu erschöpft, um noch länger zu streiten.
»Es tut mir leid, Chef. Das hätte ich nicht sagen dürfen. Entschuldigung.«
»Okay, okay. Ich weiß, wann ich aufhören muss. Tu, was du nicht lassen kannst, und roll den verdammten Fall noch mal auf. Aber ich warne dich, es gibt kein Geld mehr, verstanden? Und du nimmst erst mal richtig Urlaub, hörst du? Du bist ja nicht mehr du selbst.«
»Das hab ich vor«, log sie. »Und … danke, Chef … du hast ja keine Ahnung, was das für mich bedeutet.«
»Ja, ja.« Bright stand auf. »Das Gleiche noch mal?«
Er wartete ihre Antwort nicht ab, ging direkt zum Tresen. Jetzt wünschte sie, sie wäre nie hierhergekommen, um ein Bier mit ihm zu trinken; wünschte, sie hätte seinen Rat schon viel früher befolgt, um das Jahr, das für sie beide grässlich gewesen war, in Ruhe und für sich abschließen zu können. Als er über die Schulter zu ihr zurücksah, holte sie ihr Handy aus der Tasche und hielt es ans Ohr, obwohl niemand angerufen hatte. Als er sich noch einmal umdrehte, steckte sie es wieder ein, nahm Tasche und Mantel von der Stuhllehne und ging direkt zur Bar.
»Vergiss meinen Drink, Chef.« Sie legte zwanzig Pfund auf den Tresen und küsste ihn flüchtig auf die Wange. »Wir sehen uns später. Ich muss los.«
Er machte ein niedergeschlagenes Gesicht. »Wir sehen uns …«
Aber da war sie schon halb zur Tür hinaus.
71
Zwei erschöpfende Tage später, in denen ihre akribische Aufmerksamkeit für jedes noch so kleine Detail sie beinahe in den Wahnsinn getrieben hatte, schloss Daniels die Corbridge-Akte, während Brights Worte ihr wieder in den Ohren klangen. Er hatte Recht. Der Fall war mausetot. Sie hatte nicht ein Fitzelchen eines Hinweises gefunden, der übersehen worden war, absolut nichts, das sie irgendwie weiterbringen konnte. Aber die Karte in Father Simons Hand ließ ihr immer noch keine Ruhe. Sie bekam sie einfach nicht aus dem Kopf.
Sie lehnte sich zurück und rieb sich den schmerzenden Nacken, während sie sich fragte, wie sie David und Elsie Short beibringen sollte, dass sie nicht mehr weiterkam. Als sie sich an das letzte Treffen mit ihnen erinnerte, musste sie an Jo denken. Sie hatten seither keinen Kontakt mehr gehabt, und sie sehnte sich verzweifelt nach neuen Nachrichten.
Daniels nahm ihre Karte aus dem Computer und blickte zutiefst niedergeschlagen aus dem Fenster. Die Welt da draußen sah ziemlich normal aus, und doch hatte sie das Gefühl, irgendwie in der Luft zu hängen, ohne etwas dagegen tun zu können. Ein Paar ging vorüber, die Arme umeinandergelegt, lachend – sorglos. Dahinter ging ein hübsches junges
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